Wir durchqueren eine Ortschaft, – wie erwähnt, werde ich die Namen der Orte ignorieren, um mich nicht zu blamieren – um schließlich auf einem Fuß- und Radweg zu landen. Er geht in Richtung Ammer, die bald den Ammersee speisen wird. Sie ist randvoll und ich unterquere eine Überführung, um ein Naturschutzgebiet südlich des Ammersees zu umlaufen. Bei meiner letzten Teilnahme habe ich mich hier etwas verfranzt. Heute habe ich ja modernste Technik am Arm. Es kann also nicht passieren. Kurz nach der Unterführung sehe ich eine Bank auf der Höhe eines Wasserfalls, der aufgrund der Menge des Wassers ordentlich Radau macht. Ich lasse mich auf der Bank nieder. Zeit für eine Breze und den Anruf zu Hause. Silke weiß inzwischen, dass ich die Krankheit unter Kontrolle habe, etwas Sorge bleibt und die will ich ihr nehmen.
Ich strecke mich kurz und dann geht es weiter. Nach einer längeren Pause mal wieder im Laufschritt. Meine Laufuhr führt mich sicher durch das Naturschutzgebiet und ich habe meine wahre Freude daran. Erstmal kann ich ein paar Wanderfalken beobachten. Einer steht schreiend und flatternd über einem Feld. Ich warte auf den Sturz, aber ein zweiter kommt hinzu. Das scheint einem anderen Pärchen gar nicht zu gefallen und es kommt zu einer kleinen, lautstarken Rauferei. Ich schaue nur nach oben, ich liebe Vögel. Wenig später treffe ich auf ein Feld voller Meisen, der Naturschutz scheint tatsächlich zu funktionieren.
Mitten in diesem Vogelparadies kommen mir vier Wanderer entgegen. Sie bitten mich ein Foto von ihnen zu machen. Ich weise sie kurz daraufhin, dass sie mir meine persönliche Bestzeit versauen, aber ich will mal eine Ausnahme machen. Wir unterhalten uns kurz. Das Quartett ist um sieben Uhr in Stegen in entgegengesetzter Richtung gestartet und sie werden ebenfalls den Ammersee umrunden. Wir wünschen uns alles Gute und weiter geht‘s. Bevor ich nach rechts auf eine Kreisstraße abbiege, habe ich noch eine Begegnung mit Störchen. Hier gut dreißig, da nochmal vierzig und noch ein weiteres Feld voll. Wer hätte das vor zwanzig Jahren gedacht, dass die Störche hier wieder richtig heimisch werden. Ich finde es super, auf meinem Dach möchte ich allerdings keinen sitzen haben.
Nun befinde ich mich schön langsam, aber sicher in dem Bereich rund um den Ammersee, wo die wirklich Reichen wohnen und wo ich mit den Orten so ganz und gar nicht mehr klar komme. Ich möchte jetzt auch nicht googeln, um schlau dazustehen. Nein, ich schreib‘s einfach so wie ich es erlebt habe. Ich laufe also entgegen der Kreisstraße, immer darauf bedacht möglichst weit links zu laufen. Die meisten Autofahrer nehmen Rücksicht, verlangsamen das Tempo und fahren auf die Gegenfahrspur. Ich bedanke mich stets, was meist auch zu einer positiven Reaktion der Fahrer führt. Es ist ein unbedeutend geringer Prozentsatz, die, ohne das Tempo zu verlangsamen an mir vorbeirauschen. Da kann es einem schon ganz anders werden. Aber anders geht‘s halt mal nicht und ich passe auf mich auf.
Ich bin froh, als ich die Kreisstraße verlasse und auf einem Fußgängerweg weiterlaufen kann. Ich durchquere die nächste – nein ich erwähne es wirklich nicht mehr, dass ich nicht weiß, wie sie heißt – Ortschaft, die auch nicht besonders aufregend ist. Ach ja, es fällt mir wieder ein, das war Raisting. Denn links von mir kann ich die Erdfunkstelle Raisting erkennen. Durch die riesigen Parabolantennen wird die Kommunikation mit den Nachrichtensatelliten sichergestellt. Nicht besonders schön, aber brauchen tut man sie, wenn man wissen will, was manche Staats-Chefs so anstellen oder mit wem Boris Becker aktuell liiert ist. Ich laufe und walke weiter. Ich komme in die nächste Ortschaft, diesmal weiß ich wirklich nicht, wo ich bin, aber sie ist schon etwas nobler. Der Weg führt direkt am Ammersee entlang. Spaziergänger mit Kindern oder Hund, hier und da auch mit beidem, kommen mir entgegen. Die meisten von ihnen grüßen freundlich, wünschen mir einen guten Morgen. Ich bin etwas verwirrt, es dürfte doch schon deutlich nach Mittag sein. Egal, freundlich sind sie jedenfalls.
So, ab jetzt wird‘s für mich wirklich kompliziert. Denn die kommenden Ortschaften geben sich sprichwörtlich die Hand. Die eine hört auf, die andere fängt an. Auf unseren Pfaden komme ich auch an keinen Ortschildern vorbei, so dass ich wüsste, wo ich eigentlich bin. Aber irgendwann führt der Weg vor einer Gaststätte nach rechts, direkt am Uferweg vorbei. Es sieht nicht gut aus, also überschwemmt. Ich versuche es trotzdem. Ich quetsche mich an einem Hauseck vorbei, tappe dabei immer wieder in den See und hole mir nasse Socken. Kurz darauf stehe ich vor einer Mauer, das Wasser neben mir ist bestimmt einen halben Meter tief. Sackgasse. Ich drehe um und musste mir nun auch den anderen Schuh nass machen. Ich handele mir nun ein paar extra Meter ein, muss hoch zu einer Staatstraße und laufe parallel zu dieser auf einem Fahrradweg. Ich bin froh, als ich endlich wieder abbiegen kann, auf einen Feldweg komme und Ruhe vor den Autos habe.
Etwas weiter sehe ich am Ufer ein Rettungsboot des Roten Kreuzes und mir schwant Übles. Ich bin erleichtert, als ich sehe, dass es sich wohl nur um eine Reinigungsaktion handelt. Sogar eine Matratze retten die Rot-Kreuzler vor dem Ertrinken. Als ich näherkomme, fragt mich eine der Retterinnen, ob ich auch zu diesen Ammersee-Umquerern gehöre. Die letzten sind vor einer halben Stunde durch, bekam ich zur Antwort. Es wird auch niemand mehr kommen, musste ich zugeben. Dass ich aber noch gut aussehe, beruhigte mich. Sie würden mich also nicht in den Rettungswagen verfrachten. Gut so.
Es gab auf dem weiteren Weg eigentlich keine weiteren erwähnenswerten Vorkommnisse. Ich schüttelte angesichts der teils äußerst protzigen Villen immer wieder mal den Kopf. Ich kann nicht verstehen, was man davon hat. Aber jeder wie er will. Meine Welt wäre es nicht. Kurz darauf komme ich in eine Welt, die ich auch nicht unbedingt meine ist. Es begann zu kübeln. Richtig ordentlich und auch noch mit Wind, damit die Sache gleich richtig Spaß macht. Hilft nichts, ich muss weiter. Ab und zu glaube ich, dass es nicht mehr weit sein kann, werde jedoch immer wieder mit meiner Ortsunkenntnis bestraft. Es zieht sich. Vor allem, da meine nassen Schuhe ekelhaft quietschen und sich inzwischen am linken Ballen eine leichte Blase bildet.
Irgendwann komme ich an einen Parkplatz, an dem ich mit Silke schon mal geparkt hatte, es kann also nicht mehr weit sein. Auf einem weiteren batzigen Weg schlängle ich mich durch ein Waldstück und bin mir sicher. Wenn ich rauskomme, werde ich die Autobahn und die Brücke, die das Finale einleitet, sehen können. So war es dann auch. Ein paar Minuten später lief ich auf den Parkplatz in Stegen ein. Erwartungsgemäß war niemand mehr da, so musste ich mein Finish allein feiern. Kurz die, wieder einmal sehr schöne Medaille von Bernie umgehängt, ein Selfie gemacht und schon war ausgefeiert. Mir war kalt, ich war müde und wollte nach Hause.
Es dauerte etwas, bis ich realisiert hatte, dass ich mal wieder einen Ultra ins Ziel gebracht habe, auch wenn von der Form von vor ein paar Jahren nicht mehr viel über ist. Ich werde weiterlaufen und schauen, wie es läuft. Ich bin weiter zuversichtlich, will aber nichts über den Zaun brechen. Ich möchte mich gerne bei Bernie bedanken, der das alles mal wieder souverän geplant und durchgeführt hat. Inklusive toller Medaille und einer schönen Urkunde. Auch bedanken möchte ich mich bei Roland. Deine E-mail nach dem Lauf war für mich wirklich sehr emotional. Danke für Deine Empathie und Deine aufmunternde Worte. Ich freue mich auf alles weitere, was da noch so kommt. Versprechen kann und werde ich nichts. |