Es wird Nacht
Um Punkt 21.30 Uhr geht der Vorhang vor dem Tunnelausgang hoch, Pyrotechnik wird gezündet und das Feld setzt sich in Bewegung. Es dauert etwas, bis ich ins Freie gelange, eine Zeitmessmatte kann ich nicht sehen, so aktiviere ich unmittelbar am Ausgang mein GPS. Auf der gesperrten Hauptstraße laufen wir durch den Ort. Links und rechts bereiten uns hunderte von Menschen ein begeistertes Spalier mit enthusiastischer Anfeuerung. Noch kann man alles gut sehen, die Dämmerung ist noch nicht so weit fortgeschritten.
Nach anderthalb Kilometern verlassen wir die Vinschgauer Straße, es geht runter auf eine neue Trassenführung über die Aufschüttzone. In der kurzen Zeit ist es bereits deutlich finsterer geworden. Auf Schotter laufen wir wenige Meter neben der Wasserkante des Lago di Resia entlang. Ab hier beginnt auch die Markierung durch Fackeln. Rund um den See werden uns 2.000 Stück den Weg weisen.
Mein technisches Equipment bereitet mir gerade immense Probleme. Ein Blick auf meine Laufuhr verrät mir …nix. Nur wenige gelaufene Meter werden angezeigt. Links und rechts türmen sich die Berge im Etschtal bis fast auf 3.000 m Höhe auf, ich vermute der GPS-Empfang wird dadurch empfindlich gestört. Ein weiteres Problem habe ich mit meiner Kamera, schnell muss ich feststellen, sie ist für Nachtaufnahmen mit beweglichen Objekten gänzlich ungeeignet, weswegen ich auch keine besonders guten Aufnahmen erzielen kann.
In Abständen von etwa 10 Meter sind die Fackeln platziert, sie können den Untergrund aber nicht wirklich erhellen, aber man weiß zumindest, wo es entlang geht. Einmal gerate ich leicht ins Stolpern. So hinterfrage ich kurz meine Entscheidung, ob es richtig war ohne Lampe zu laufen. Aber man kann doch relativ problemlos laufen, ein Lampenschein würde natürlich für etwas mehr Sicherheit sorgen.
Nach vier Kilometern erreichen wir am Staudamm, den südlichsten Punkt unserer Runde, mittlerweile ist es Kuhnacht. Nur noch die Silhouetten der Berge und der im Mondschein glänzende See sind von der Umgebung zu sehen. Zu Beginn der Staumauer stehen wieder viele Fans und feuern uns an. An einer ersten Getränkestelle gibt es Wasser und Iso.
Auf 415 Meter Länge überqueren wir die hell erleuchtete Staumauer. Ich starte nochmal einige Fotoversuche mit und ohne Blitz, aber das wird heute Nacht nix Gscheites, so beschließe ich das weitestgehend einzustellen und mich auf das zu konzentrieren, weswegen ich ja eigentlich auch da bin. Nämlich dem Laufen und Spaß haben. Nach der Staumauer biegen wir auf den westlichen Radweg um den See ab, wo wir wenig später den nächsten Getränkeposten erreichen. Auf der Westseite funktioniert auch mein GPS-Empfang wieder.
Viel zu sehen gibt es für uns auf dem Vinschgauer Radweg nicht mehr. Schwarz geht es links von uns die Berge hoch. Schwarz liegt das gegenüberliegende Ufer in etwa einen Kilometer Entfernung. Schwarz zieht sich das gepflegte Asphaltband des Radweges am Ufer entlang, nur die weiße Fahrbahnbegrenzung und die Fackeln sorgen für helle Akzente. Selbst der Mond hält sich hinter den Bergen irgendwo versteckt. Für zusätzliche Aufhellung sorgen lediglich noch die Lichtscheine der Stirnlampen meiner Mitläuferinnnen und Mitläufer. Ich muss feststellen, dass gar nicht mal so wenige ohne Lampe unterwegs sind.
Im weiteren Verlauf wird der Kurs auf der Westseite immer welliger. Ein ums andere Mal sind jetzt doch spürbare Anstiege zu bewältigen. Ich habe so das Gefühl, in dunkler Nacht nimmt man die Steigungen wesentlich deutlicher wahr. Vielleicht entwickelt man ohne optische Ablenkung, mehr Gefühl für die Umgebung.
Nach 8 km sind wir auf Höhe von Graun, der Sprecher ist zwar nicht im Detail, aber doch lautstark vom gegenüberliegenden Seeufer zu vernehmen. Kurz darauf steht mit fast 30 Höhenmetern der längste Aufstieg an. Hier schalten einige in den Hiking-Modus. Abwärts geht es zum beleuchteten Parkplatz der Schöneben Bergbahn, wo wieder Getränke bereitstehen.
Auf der Altdorfstraße erreichen wir nach 11 km den Ortsanfang von Reschen. Das auffällig beleuchtete Geländer am Seeufer des Reschensees, wage ich wieder einmal einige Fotoversuche. In den hell erleuchteten Ort kommen wir nicht, wir zweigen vorher wieder Richtung dunkles Seeufer ab. Auf einem Schotterweg folgen wir der Uferlinie. Ein paar Schifferl kann ich als Silhouette erkennen. In etwas Entfernung spielt Blasmusik, als ich die Musikgruppe passiere, machen sie gerade Pause.
Schon von weitem kann man den beleuchteten Alt-Grauner Kirchturm im Wasser stehen sehen, für uns bedeutet das, jetzt ist es nicht mehr weit. Die letzten Meter vor dem Zieleinlauf führen uns am seitlichen Rand, durch das vollbesetzte Festzelt. Noch hundert Meter im Freien und unsere 15 km lange Runde ist beendet. Charly wartet bereits auf mich. Etwas hinterhalb werden uns wunderschöne aufwendige Medaillen überreicht und an einem weiteren Stand wartet ein kleines Lunchpaket für jeden.
Ich bin gerade einmal ein paar Minuten im Ziel, als es plötzlich anfängt zu regnen. Auch der Himmel ist jetzt schwarz. Wie gut, dass ich wärmende Klamotten abgegeben habe. Aber auch bei der Abholung muss man sich wieder in Geduld üben. Wie bereits bei der Abgabe, gibt es wieder großen Andrang. Nach einer Viertelstunde ist der Regenspuk auch schon wieder vorbei. An mehreren Stellen im Außengelände sind große Feuerschalen entzündet worden, wo man sich wieder trocknen und vor allem schön wärmen kann.
Die Sperrstunde ist aufgehoben
So langsam tröpfeln nach und nach auch die letzten Teilnehmer*innen im Ziel ein. Das Ende der Veranstaltung bedeutet das aber noch lange nicht, jetzt geht die Party erst richtig los. An den Kassenständen, wo Bons für Getränke und Essen ausgegeben werden, gibt es ebenfalls lange Warteschlangen, die wenigsten verlassen frühzeitig das Gelände. Die Sperrstunde ist heute aufgehoben, verkündet der Sprecher. Mit Techno werden wir im Außenbereich lautstark unterhalten. Im Festzelt übernimmt das die Liveband Plug&Play aus Meran bis zum Beginn der Siegerehrung.
Die Sieger sind altbekannte. Olympionikin Tereza Hrochová aus Tschechien gelingt der Hattrick, bei den Herren gewinnt unser deutscher Landsmann Konstantin Wedel ebenfalls schon zum wiederholten Mal. Großen Respekt nötigt mir Simon Josy aus Luxemburg live am Micro ab. Mit 92 Lenzen ist er der älteste Teilnehmer, auch er war bereits mehrmals hier am Start.
In jeder Altersklasse werden die ersten drei mit einer Steige bester Südtiroler Äpfel prämiert. Das zieht sich natürlich lange dahin. Erst nach 1.00 Uhr in der Nacht beginnt ein weiterer Höhepunkt des Abends. Ein spektakuläres Feuerwerk taucht den See in funkelnde Farben. Das Warten hat sich definitiv gelohnt.
Was für ein Erlebnis. Ein fantastisches Event, zwei begeisterte Typen, drei Tage, vier Länder und fünf Pässe. War mega, mehr geht nicht. |