Über die Wiese verlasse ich die Hindenburghütte und freue mich, dass der Regen vorbei ist. Dennoch ist es hier oben eher kühl und ich versuche ein gemäßigtes Tempo zu laufen, um warm zu bleiben. Das ist aber gar nicht so leicht, denn über einen schmalen Trail laufe ich erstmal nach links und finde mich bald auf dem langen Anstieg vom Anfang wieder. Diesen gilt es nun bergab zu laufen, was gar nicht so einfach ist. Die Steine sind äußerst glitschig und ich muss Vorsicht walten lassen. Ab und zu komme ich trotzdem ins Rutschen und lasse ab und an auch gerne den schnellen Läufern vom L-Trail den Vortritt. Wie die den Berg hinunterrauschen, ist schon faszinierend. Keine fünfzig Meter könnte ich mich auf den Beinen halten. Wahnsinn was für eine Kontrolle diese Freaks haben. Ehe ich mich jedoch versehe, bin ich unten angekommen und finde mich vor den Skisprungschanzen wieder. Die nächste Verpflegungsstation liegt vor mir. Bei Kilometer 16 steht Kaiserschmarrn mit Apfelkompott auf dem Speiseplan. Wer kann da schon nein sagen? Gefühlt bin ich nun schon auf dem Rückweg und nicht mehr weit vom Sportplatz, wo wir gestartet sind, entfernt. Doch schon bald wird die Strecke erneut geteilt. XL- und L-Trail nach rechts, ich und alle anderen M-Trailer dürfen nach links auf eine abschließende Extrarunde.
Vor mir laufen zwei Mädels, die in etwa meinen Schritt haben und ich passe mich ihrem Tempo an. Ich laufe durch den Wald und bei mir stellt sich eine leichte Euphorie ein. Gut 17 Kilometer habe ich in den Beinen, die zwar in der Zwischenzeit etwas schwerer geworden sind, trotzdem fühle ich mich gut. Der Große Steinbach rauscht neben mir durch den Wald, es könnte gerade gar nicht schöner sein. Ich biege um eine Ecke und plötzlich stehen die beiden Mädels vor mir. Ich bin etwas überrascht. Umso mehr überrascht mich der Grund ihres Stehenbleibens. Der Weg scheint vor uns zu enden, denn der Große Steinbach, der sich eher als reißender Fluss entpuppt, liegt vor uns.
Haben wir uns etwa verlaufen?
Ich sehe auf der anderen Seite eine Wegmarkierung, also sind wir wohl richtig. Über Nacht hatte sich der Große Steinbach in einen Fluss verwandelt. Hilft ja jetzt nichts, irgendwie müssen wir da rüber. Ich lasse den Mädels erst mal großzügig den Vortritt. Die erste springt über die ersten beiden glitschigen Steine und bleibt dann mitten im Fluss stehen. Es geht nicht weiter. Der nächste Stein ist zu weit weg. Während die erste Läuferin sich auf dem Stein balancierend ihrer Schuhe entledigt, tut ihr die zweite diese am Ufer gleich. Auch ich sehe keine andere Möglichkeit und ziehe meine Schuhe aus. Das Wasser ist eisig und ich wate unter Zuhilfenahme meiner Stöcke durch den Fluss. Teilweise stehe ich bis zu den Knien im Wasser und versuche nicht auszurutschen. Irgendwann komme ich doch drüben an und trockne mit meinen Laufsocken die Füße ab und schlüpfe in meine Trailer. Ich mühe mich gerade mit dem zweiten Schuh ab, als eine junge Läuferin, die bis dahin noch hinter mir lag, elegant und scheinbar ohne Mühe über die Steine springt. „Mit den langen Beinen hätte ich das auch gekonnt“. Ich konnte mir den Kommentar einfach nicht verkneifen. Sie lächelt mich an und es geht weiter.
Als Belohnung für dieses kleine Abenteuer darf ich nun erst einmal 140 Höhenmeter nach oben. Auf einem schmalen Trail geht es in Serpentinen steil nach oben und mein Puls ist schnell am Anschlag. Die nassen Wurzeln verlangen Trittsicherheit und Konzentration. Beides ist noch ausreichend vorhanden und ich komme oben an. Die letzte Verpflegungsstation liegt schon bald vor mir. Auf der Zwerchenbergalm gibt es viel Obst, Kekse und Kuchen. Ich greife mir eine „Affenwurst“, wie sie der Helfer nennt und lasse mich kurz in einem Liegestuhl nieder. Eine Läuferin, die auch auf dem M-Trail unterwegs ist, nutzt die Gelegenheit ebenfalls und grinst: „Ich glaub ich kann nicht mehr weiterlaufen, ich bin völlig überfressen.“ Wir verabreden uns für später im Ziel und ich mache mich wieder auf den Weg.
Auf einem Schotterweg geht es nun wieder etwas entspannter nach unten. Das Gröbste sollte hinter mir liegen und ich schiele schon mal auf meine Uhr. Bald würde ich die Klausenbachklamm bei Kilometer 21 erreicht haben. Es könnte sich mit meinen anvisierten fünf Stunden tatsächlich ausgehen. Die Klamm hatte es aber noch mal in sich. Die Treppen waren feucht und rutschig und verlangten nochmal volle Aufmerksamkeit. Leider war die Klamm heute trockengelegt. Gerne wäre ich zwischen den tosenden Wasserfällen hindurchgelaufen. Ich bringe auch diesen Abschnitt gut hinter mich und kann mich nun auf das Finale freuen. Auf einem Wanderweg vorbei an einem Weiher, in dem riesige Seerosen blühen, lässt sich wieder wunderbar laufen. Da nun sogar die Sonne etwas hervorkommt, wagen sich auch die Spaziergänger nach draußen. Sie feuern mich an, was zusätzliche Motivation gibt. Über den Krautloidersteg geht es zurück zum Märchenwald und nun stellt sich bei mir auch endgültig das Gefühl ein, es geschafft zu haben. Es ist zwar kein Marathon, aber dennoch fühlt es sich genauso wunderbar an. Ein letztes Mal geht es sanft den Berg hinab und ich kann vor mir schon den Sportplatz sehen. Noch gut ein Kilometer liegt vor mir. Ich werde die fünf Stunden zwar knapp verpassen, aber das ist mir jetzt völlig egal.
Ich erkenne Silke, Steffi und Wolfgang, die an der Bande des Sportplatzes lehnen und auf mich warten. Steffi hat am Vorabend noch angekündigt, dass sie mich gerne mal laufen sehen würde und so zog ich die Schritte noch etwas länger und versuchte so locker wie möglich zu laufen, um möglichst gut auszusehen, auch wenn es etwas weh tat. Für ein kurzes vorzeitiges Finisher-Busserl musste ich bei Silke aber trotzdem kurz anhalten. Noch eine halbe Runde um den Sportplatz lag vor mir und diese wurde dank Rudi zum Genuss. Er kündigte mich an, als hätte ich den Lauf gewonnen. Dass er mich dabei noch als den „Tiefstapler des Wochenendes“ bezeichnete, ließ mich lachend die Ziellinie überqueren. Es war geschafft und ich ließ mir die schwere Finisher-Medaille um den Hals hängen. Rudi drückte mir auch noch ein Finisher-Schnapserl in die Hand und es fühlte sich einfach gut an. Jutta und Stefan gratulierten mir ebenfalls zu meinem kleinen Comeback und so ließ ich mich mit einem kühlen Bier und einem guten Gefühl in einem Liegestuhl nieder und genoss noch ein paar Minuten die wärmenden Sonnenstrahlen.
Klaus hatte Recht. Es muss nicht immer Marathon sein. Die kurze Strecke hat mir sehr viel Spaß gemacht und auch die Stimmung auf der Strecke unterschied sich nicht von der auf den langen Kanten. Ich kann mich jedenfalls mit dem Gedanken in Zukunft immer wieder mal auf die kurzen Strecken auszuweichen gut anfreunden. Momentan ist an einen Marathon eh noch nicht zu denken, aber auch diese Zeiten werden wieder kommen. Sicherlich jedoch nicht mehr in der Frequenz, wie in den vergangenen Jahren. Mein Dank für dieses besondere Wochenende gilt jedenfalls Jutta, Rudi und Stephan, die einen großartigen Job gemacht haben und mich schon vor dem Lauf mit ihren Worten aufgemuntert haben und nicht zuletzt Silke, die mich in dem vergangenen halben Jahr unterstützt hat, was sicherlich auch nicht immer leicht war. |