Brütende
Hitze empfängt uns am Freitagnachmittag vor den Toren der Herbert
Ospelt Anstalt in Bendern, wo morgen der Startort sein wird und
zugleich auch die Ausgabe der Startnummern stattfindet. Keine Angst,
eingesperrt wird in dieser Anstalt niemand, so nennt sich nur die
Unternehmensform. Begleitet werde ich wieder wie in den letzten
Wochen so oft, von Jan.
Die Anfahrt ging heute unerwartet zügig vonstatten, alle Baustellen
im Bereich Allgäu vom Vorjahr sind auf der A96 beendet, so
dass wir bis zum Grenzübergang vor dem Pfändertunnel nur
anderthalb Stunden benötigen. Auf Österreicher-Seite sind
es noch 40 Autobahnkilometer bis Feldkirch und weitere 12 Landstraßenkilometer
bis zum Zielort, insgesamt brauchen wir dafür ohne Stress 2
½ Stunden. Auf seinen Zaster muss heutzutage jeder schauen,
daher mein Tipp: Die Schweizer Autobahn-Vignette kann man sich getrost
sparen, auf der Landstraße ist nämlich null Verkehr.
Die Wetterumstände rufen bei mir heute ein kleines Déjà-vu-Erlebnis
hervor, weil es mich stark an den Chicago Marathon 2007 erinnert,
als es auch immer heißer wurde und am Ende mit einer wahren
Hitzeschlacht endete. Genau wie damals ist aber auch diesmal von
den Meteorologen für den Renntag ein Wetterumschwung mit Abkühlung
angekündigt. In Chicago kam der dann aber zwei Tage zu spät.
In der Firmenkantine des Schinken-Spezialisten erhalten wir unsere
Startnummer, so wie es aussieht werden die meisten erst am Samstag
kurz vor dem Start anreisen, los ist hier noch rein gar nichts.
Wer einen neuen Laufschuh benötigt kann die auf einem Stand
im Freigelände von einem Sportartikel-Hersteller und Mitsponsor
erwerben. Ein Gutschein für einen Nachlass über 40 Schweizer
Fränkli liegt allen Startunterlagen bei. Da es sich zwar um
meinen Laufschuh-Favorit handelt, ich aber gerade vier Paar noch
gut erhaltende der Marke besitze, kommt das für mich ausnahmsweise
nicht in Frage. Ansonsten hätte ich schon schwach werden können.
Lange aufhalten lohnt hier nicht, daher machen wir uns auf den Weg
nach Malbun in 1.600 m Höhe. Unser Hotel liegt dort und zugleich
ist es auch morgen unser Zielort. Auf den Serpentinen hinauf benötigen
wir eine gute halbe Stunde und Temperatur mäßig ist es
dort schon deutlich angenehmer, ein leichtes Lüftchen sorgt
für Abkühlung.
Die Aussicht hier oben am Ende des Hochtals ist herrlich, wie eine
Arena umschließen die Bergflanken den Ferienort. An den Hängen
unterhalb des Sareiserjochs, des Silberhorns und der Nospitz befindet
sich auch das einzige Skigebiet Liechtensteins und es kann durchaus
vorkommen dass man auch mal den Fürst beim Wedeln antrifft.
Beim Anblick dieses Panoramas kommt bei mir schon eine gewisse Vorfreude
auf den morgigen Zieleinlauf auf. Irgendwo dort oben verläuft
der Panoramaweg den wir noch vor unserem Zieleinlauf absolvieren
dürfen.
Die Handhabung der Pastaparty sieht beim LGT Alpin folgendermaßen
aus: In zwei Liechtensteiner Hotels kann man sich am Nudel- und
Salatbuffet für 15 sfr bedienen bis man platzt, inbegriffen
ist auch noch ein Softgetränk. Eines der Hotels liegt in Malbun,
in welchen wir das Angebot wahr nehmen. Für uns stehen zur
Auswahl, zwei verschieden Nudelsorten, drei unterschiedliche Soßen
und eine große Auswahl an Salaten. Da gibt es nichts zu meckern.
Sollte jemand noch zusätzlich etwas benötigen, wie ich
z.B. ein paar Tropfen des roten Treibstoffs für Morgen, das
wird natürlich extra berechnet.
Frühmorgens um 5:30 Uhr verrät mir der Blick aus dem Fenster
dass die Wettervorhersage tatsächlich eintrifft. Es ziehen
Wolken auf. 45 Minuten später beim Frühstück ist
bereits alles grau in grau und es fängt an zu regnen. Gott
sei dank, leider, oder was jetzt?. Ich bin mir unsicher, was jetzt
das schlimmere Übel ist. In meinen letzten Läufen musste
ich mich meistens mit Regen abfinden, mir hätte es eigentlich
gereicht.
Um Punkt 7 Uhr bringen zwei, vom Veranstalter gestellte Busse alle
hier oben stationierten zum Startplatz ins Tal. Während der
Fahrt lockern die Wolken schon wieder etwas auf und es sieht nicht
mehr ganz so duster aus. In Bendern tröpfelt es nur mehr hin
und wieder, aber die Aussicht auf die Berge ist doch stark beeinträchtigt.
Das Thermometer zeigt uns 19 Grad an, eigentlich doch ganz passabel.
Am Start stehen heute 900 Läufer/innen, 200 davon sind für
den Halbmarathon PLUS mit einer Streckenlänge von 25 km gemeldet.
Anders als bei den meisten anderen Veranstaltungen ist hier der
Marathon noch das Hauptevent. Die Zeit wird mit dem ChampionChip
gemessen, aber nicht mit dem eigenen gelben, sondern einem kostenlos
vom Veranstalter gestellten schwarzen.
Gedränge gibt es vor dem Startschuss nicht, man kann sich bequem
einordnen wo man möchte. Pünktlich um 9 Uhr wird gestartet
aber es gibt keine Zeitmessmatte zum überlaufen, das bedeutet
wohl, es wird nur eine Bruttozeit gemessen. Sekundenfuchser sollten
also lieber gleich hinter den Topläufern unterm Startbogen
stehen, sonst könnte die eine oder andere Sekunde glatt am
Ende fehlen. Mir macht aber heute keiner den Eindruck, dass er es
gleich von Beginn an besonders eilig hätte.
Die ersten flachen 10 Kilometer dienen zum warm werden. 1,5 km legen
wir auf der Schaaner Landstraße zurück, dann geht’s
rechts ab, runter an den Rheindamm. Erst noch unterhalb des Walls,
nach 5 km dürfen wir dann rauf mit Sichtkontakt auf den unten
fließenden Rhein, der auch die Grenze zur Schweiz darstellt.
Anfangs tröpfelt es noch mit Unterbrechungen aber bald fängt
es schon richtig zum regnen an.
Über einige Treppenstufen geht’s hinein ins „Städle“
Vaduz, gerade mal 5.000 Einwohner zählt der Hauptort des kleinen
Fürstentums. Insgesamt wird das „Ländle“ von
35.000 Menschen bewohnt, davon sind ein Drittel Ausländer.
Hauptsächlich Schweizer, Österreicher, Deutsche und Italiener.
Amtssprache ist Deutsch und bezahlt wird in Schweizer Fränkli,
natürlich werden auch Euros genommen. Erst durchqueren wir
noch eine Fußgängerzone, mit einigen jugendlichen Anfeuerern,
aber dann ist es auch schon vorbei mit dem Einlaufen, der erste
saftige und lange Anstieg beginnt.
Von unten fällt schon seit einiger Zeit, immer wieder mal mein
Blick auf Schloss Vaduz, das mehr wie eine Ritterburg aussieht und
eine der Hauptattraktionen und das Wahrzeichen von Liechtenstein
darstellt. Beim Schauen von außen wird es auch bleiben, für
uns sowieso, aber auch für alle Besucher des Fürstentums.
Auf einem Schild am Wegesrand kann ich lesen: Keine Besichtigung!
Der Fürst will seine Privatsphäre wahren und seine Ruhe
haben. Weil hier aber auch nicht hinter jedem Eck ein Paparazzi
lauert, kann er sich relativ unbeschwert bewegen, auch ohne Bodygard
und Polizeischutz.
Nach 12 km stehen wir direkt vor den Toren der ca. 800 Jahre alten
Burg, wo auch eine Getränkestelle aufgebaut ist. Mit Ausblicken
ins Rheintal kann ich heute nicht dienen, aber nach vielen Jahren
der Renovierung, gibt es das Schloss endlich wieder unverhüllt
zu sehen. Wenn ich schon nicht mit tollen Landschaftseindrücken
dienen kann, dann habe ich wenigstens Bilder ohne Gerüst und
Kran zu bieten.
Ab hier legt der Regen noch mal eine Schippe zu, doch glücklicherweise
führt der Weg etwa einen Kilometer weiter direkt von der Teerstraße
auf einen schmalen Trail in den Wald, so dass ich noch etwas verschont
werde. Aber mich beschleicht ein erneutes Déjà-vu
aus den vergangenen Wochen im Regen.
Aber dann müssen wir doch wieder raus aus dem schützenden
Gehölz auf die Fahrstraße, für meine Kamera habe
ich aber vorsichtshalber ein Plastiktütchen mitgenommen und
in die verschwindet sie dann auch für die einige Zeit. Die
Waldistraße führt uns wieder in rustikaleres Terrain.
Die Berge sind leider vollkommen verhangen und immer wieder kommt
für meinen Geschmack, deutlich zuviel Nass vom Himmel. Mein
Shirt klebt mittlerweise nur noch an mir und wäre eher geeignet
für eine Teilnahme an einem Wet-T-Shirt-Contest. Orientierung
und Aufnahme von Landschaftseindrücken sind leider vollkommen
Fehlanzeige. So hätte ich mir meine erste Bergtour in diesem
Jahr eigentlich nicht vorgestellt.
Was wirklich sehr positiv zu bewerten ist, ist die hervorragend
zu laufende Strecke. Ich hatte mich im Vorfeld noch erkundigt, welcher
Schuh denn am besten geeignet ist? Magic gab mir den Tipp auf die
Trailschuhe zu verzichten, allenfalls bei viel Regen darauf zurückzugreifen.
So habe ich mich letztendlich für die leichten Rennschlappen
entschieden und bin auch absolut glücklich mit der Wahl. Nur
bei ganz wenigen Passagen wären Trailschuhe angebracht gewesen.
Ziemlich genau bei der Halbmarathondistanz erreichen wir den höchsten
Punkt dieses ersten 11 Kilometer langen, kräftezehrenden Anstiegs.
1.065 absolvierte Höhenmeter zeigt meine Uhr auf einer Höhe
von 1.557 m ü. NN an. Spürbaren Hinweis auf die Anstrengungen
bieten mir meine dicken Oberschenkel, bei den jetzt folgenden Bergab-Stücken
muss ich mich erst wieder an normales Laufen gewöhnen, wahrscheinlich
auch Indiz für deutlich zu wenig Bergtraining im Vorfeld. Fühlt
sich jetzt bei mir in etwa so an wie bei einem Triathleten, beim
Wechsel vom Radfahren zum Laufen.
Bis zum Saminasee geht es auf den nächsten 3,5 km tendenziell
abwärts, aber nicht durchgehend. Es gibt auch mal flachere
und kleinere Anstiege. Aber endlich wieder eine andere Belastung
für die Beine. Am See erwartet uns eine weitere V-Stelle und
kurz darauf haben die Halbmarathon PLUS-Läufer kurz nach dem
25-er Schild ihr Ziel erreicht. Für uns geht es kurz vorher
rechts ab, wieder einen Anstieg hoch. Nur für kurze Zeit lichten
sich die Wolken etwas und geben mehr von der Landschaft preis.
Ab km 26 beginnt der zweite Anstieg der Strecke, anfangs noch mit
kürzeren Flach- und auch gelegentlichen Bergabstücken.
Bis Saasförkle auf 1.796 Höhe sind wieder 500 Höhenmeter
zu bewältigen. Zum sehen gibt’s bis auf das kurze Stück
Wegstrecke vor einem, eigentlich nichts mehr. Die einzige optische
Abwechslung zum Nebel bieten mir einige Kühe die unseren Weg
kreuzen und ich daher schon fast als das Highlight auf meine Speicherkarte
banne.
Mittlerweile hat es aber wenigstens aufgehört zu regnen. Obwohl
mein Shirt wahrscheinlich einen Liter Wasser aufgenommen hat, ist
es in kürzester Zeit wieder fast trocken. Eigentlich habe ich
ja ein Ersatzshirt in meiner Gürteltasche, den Wechsel kann
ich mir jetzt aber sparen. Heftig zur Sache geht es auf dem Abschnitt
von km 32 bis zur Verpflegungsstelle am Saasförkle bei km 35.
Ein steiler Singletrail führt uns im Gänsemarsch mit einer
Sichtweite von vielleicht 20 – 30 m nach oben, meine Oberschenkel
nehmen das nicht gerade wohlwollend zur Kenntnis.
Lange schon bevor wir sie sehen, können wir die musikalische
Darbietung einer Alphornbläserin vernehmen, den akustischen
Genuss kann uns der Nebel aber nicht verwehren. Nach dem langen
Querfeldeinstück gelangen wir auf einen Kieswanderweg, lustige
Wandersgesellinnen machen uns die La-Ola-Welle, wobei sie nicht
die einzigen sind, die uns unterwegs immer wieder anfeuern. Besonders
fallen mir da die vielen gut gelaunten Kinder in ihren gelben Staff-Shirts
entlang der kompletten Strecke ein..
An einer üppig bestückten Brotzeitstation ist erstmal
das nächste Teilziel auf Saasförkle erreicht. Das Angebot
ist derart reichlich, ich weiß eigentlich gar nicht wohin
ich zuerst greifen soll. Angeboten wird Cola, Iso in allen Farbvarianten,
Wasser, Bouillon, Orangen, Bananen, unterschiedlichste Energieriegel
und trockenes Weißbrot und wer weiß was noch. Die Aufzählung
trifft im Übrigen auf viele der V-Stationen zu, verhungert
und verdurstet dürfte wirklich keiner sein.
Und plötzlich taucht Jan aus dem Nebel auf, seit Schloss Vaduz
habe ich nichts mehr von ihm gesehen, aber auf Bergabstrecken macht
er immer viel Zeit auf mich gut. Nach einer ausgiebigen Stärkung
machen wir uns gemeinsam auf den Schlussabschnitt.
Zweieinhalb Kilometer geht es jetzt überwiegend abwärts,
ich überlasse Jan die Führungsarbeit und hänge mich
an. Gemeinsam mit ihm macht es jetzt richtig Spaß, aber bald
ist Schluss mit Schuss und es geht wieder entgegen gesetzt. Von
irgendwo aus der Suppe können wir den Zielsprecher in Malbun
vernehmen. Von wo das genau herkommt kann ich aber beim besten Willen
nicht lokalisieren, mir fehlt die Orientierung.
Ich weiß aber dass wir uns jetzt auf dem Panoramaweg im Kessel
der Malbuner Bergarena befinden, auf die ich mich gestern so gefreut
hatte. Die Nebelbrühe wird jetzt sogar noch zäher und
dicker, alle paar Meter ist meine Brille vollkommen beschlagen.
Eigentlich könnte ich sie gleich komplett abnehmen, aber ich
versuche sie immer wieder zu reinigen, was auf die Dauer sehr nervig
ist. Obwohl ich auf die Weite ohne sie wenig sehe, läuft es
sich ohne besser als mit Beschlag. Deutlich habe ich noch das sonnenüberflutete
Panorama von gestern Abend vor Auge und stelle mir lieber nicht
vor, welch traumhafte Aussicht uns hier entgeht.
Seit Saasförkle habe ich kein Bild mehr geschossen, ich war
zu sehr damit beschäftigt mich hinter Jan zu halten und außerdem
habe ich ja eh genug Nebelbilder im Kasten. Aber das Schneefeld
vor km 40 will ich jetzt doch ablichten, also raus mit der Kamera.
Damit ist mir natürlich auch Jan entkommen und so sehr ich
mich bemühe, auf dem letzten „Abfahrtskilometer“
habe ich keine Chance mehr das aufzuholen.
Auf einem blauen Teppich dürfen wir die letzten Meter ins Ziel
einlaufen. Als erstes wird mir der Chip vom Fuß genommen.
Und dann gibt’s da einen Stand mit schönen salzigen Pommes,
genau das richtige jetzt. An der Startnummer ist ein Bon zum abtrennen
angebracht, für ihn bekommen wir eine Tüte mit dem Finishergeschenk
von Svarowski und das Finishershirt ausgehändigt.
Mein Entschluss steht fest, hier muss ich definitiv noch mal starten,
die Strecken-führung und die Strecke selbst hat mich begeistert,
was fehlte war die Aussicht und die will ich auch einmal
dazu erleben. |