Die
Meteorologen kündigen uns massive Verkehrsbeeinträchtigungen
durch Schnee und Wind an und raten ab am Wochenende aus dem Haus
zu gehen, geschweige sich auf Deutschlands Straßennetz rumzutreiben.
Dazu empfiehlt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz noch,
sich vorsorglich mit Lebensmitteln und Medikamenten einzudecken,
um eine Versorgung "für drei bis vier Tage" sicherzustellen,
falls es gar ausartet. Auslöser des Ganzen ist das Tiefdruckgebiet
"Daisy".
Tolle Aussichten für eine Fahrt über 650 km vom Süden
durch fast die komplette Republik bis in den Nordwesten von NRW
an die Holländische Grenze. Dort, ein Stückchen über
dem Ruhrpott am Niederrhein liegt Kevelaer (gesprochen wir das Kewelaar),
der Veranstaltungsort eines der ersten Deutschen Marathons 2010.
Weil dem so ist und weil die Termine für die Jäger und
Sammler von Marathons, oder sollte ich besser sagen für die
"Verrückten unter den Verrückten" um diese Jahreszeit
rar sind, ist er so begehrt. Ein Großteil der Teilnehmerinnen
und Teilnehmer kommt aber natürlich schon aus der Region. 400
Startplätze gab es, die waren aber ruckzuck vergeben. Wer nicht
schon wenige Tage nach Eröffnung der Anmeldung sein Kreuzchen
setzte, hatte nur mehr geringe Chancen an diesem Lauf teilzunehmen.
Nun zähle ich mich persönlich nicht zu den ganz
Verrückten, auch wenn man gemeinhin mit 8 – 10 Marathons
im Jahr vom Normalo schon als einer bezeichnet wird. Ein paar von
den wirklich …"außergewöhnlichen Läufern"
werde ich in meinem Bericht vorstellen um mal zu verdeutlichen,
zu was der Mensch fähig ist.
Schon Donald Duck wusste, mit Daisy leben heißt dem Alltag
die Stirn bieten. Darum setzt sich trotz der Weltuntergangswarnung
am Samstag eine illustre Truppe von Märchenerzählern aus
allen Teilen Deutschlands in Bewegung: Ja, sogar aus der Schweiz
ist einer dabei. On Tour sind die Schreiberlinge von marathon4you.de.
Publisher Klaus hat seine Stammautoren eingeladen, damit sich alle
mal persönlich und nicht nur digital über das Internet
kennenlernen. Nur selten sind mal von den regelmäßigen
Schreibern zwei oder mehr an einem Veranstaltungsort anzutreffen.
Sozusagen wird das also eine richtige Jahreshauptversammlung.
Das Ballyhoo der Medien bescherte uns wohl eine einmalig freie Fahrt
über Deutschlands Autobahnen. Dabei ist ja eigentlich –
ganz normal für diese Jahreszeit – nur der Winter gekommen.
Die ersten 250 km bis Heilbronn nehme ich mit Anton in Angriff,
dort treffen wir uns mit den Württembergern Eberhard, Olaf
und Angelika. Die Erfahrung von fast 500 Marathons kann unsere Ladung
jetzt aufweisen, wobei Olaf mit 28 und ich mit 26 eigentlich nur
"Lehrlinge" sind.
Erst auf den letzten 100 Kilometern unserer Fahrt setzt langsam
der Schneefall und unangenehmer Wind ein, der für den Raceday
Ungemütliches verspricht. Aber ausdrücklich wurde die
Woche über, auf der Website vom LLG Laufsport Kevelaer in fetter,
roter Schrift darauf hingewiesen, dass der Marathon auf jeden Fall
stattfinden wird ...es ist nur Winter.
Bei Köln überholt uns Klaus auf der Autobahn, er hat als
Insassen Daniel aus der Schweiz und das Enfant terrible Joe aus
Frankfurt an Bord. Den Namen hat er sich zugelegt, weil er in seiner
Jugend begeisterter Westernfan war. Genauso ein wilder Hund wie
in den Filmen zu sehen, ist auch er, 43 Marathons und Ultraläufe
hat Joe 2009 rausgehauen und natürlich bereits den allerersten
2010, den Züricher Neujahrsmarathon, wie ein Revolverheld sucht
er ständig neue Herausforderungen. Derzeit befinden sich von
ihm auf der m4y-Website mehr Berichte als vom Boss Klaus persönlich.
Von einigen wurde schon gemunkelt, er habe das Portal jetzt übernommen.
Das Veranstaltungszentrum des Kevelaer Marathon ist die Jugendherberge
Am Michelsweg. Wir und auch alle anderen von weit her Angereisten
finden hier eine preiswerte Unterkunft vor. Beim Bettenbeziehen
in der spartanischen Unterkunft werde ich schnell wieder an meine
Bundeswehrzeit von vor über 30 Jahren erinnert, nach kurzer
Zeit klappt aber auch das wieder. Bei der Ankunft werden wir schon
von einigen Hartgesottenen vom 100 Marathonclub Deutschland begrüßt.
Beitreten darf man da erst, wenn man 100 Marathons oder Ultras amtlich
bestätigen kann. Renate Werz läuft morgen ihren 261. und
Bernhard Sesterheim hat auch schon um 200 Läufe von den exotischten
Plätzen der Welt auf der Liste. In Planung hat er gerade ein
Lauf auf den Kilimanjaro und den Le Grand Raid de la Reunion über
143 km und 8.700 Höhenmeter, nicht nur zufällig trägt
der die Bezeichnung "Diagonale der Verrückten".
Am Abend baut das Küchenteam das Buffet für die Pastaparty
mit verschiedenen Nudeln, Soßen und Salaten auf. Nachschlag
kann sich jeder reichlich holen und sooft er will, für ganze
6,- €. Unser Autorenteam ist mit einem Dutzend gut vertreten
und nach dem Essen verbringen wir noch einen gemütlichen Abend.
Zwei Tragel Pils werden von uns am Abend vernichtet, an vorderster
Front Joe, er hat ja auch ein Image zu verteidigen und Wasser überlässt
er lieber den Fischen. Wir bekommen noch Besuch vom Präsidenten
des 100 MC Deutschland Hans-Joachim Meyer und von Sigrid Eichner.
Die fast 70 jährige Weltrekordlerin hat bereits 1.470 Marathons
und Ultraläufe bestritten. Der Präse kommt "nur"
auf "bescheidene" 1.200. Nicht dabei sein konnte heuer
leider Horst Preisler, die Nr. 1 der Herren mit 1.666 Longruns.
Er läuft heute in England und schafft es leider zeitlich nicht
eine Verbindung hierher zu bekommen, sonst wäre er auch gekommen.
Früh am Morgen werden wir vom Arbeitskommando aus allen Träumen
in unseren Stockbetten des 6-Bett Zimmers gerissen. Eine Schar Mitglieder
und Freunde des Clubs beginnt mit dem präparieren der Laufstrecke.
Ganz oben auf, steht der Vorsitzende des Clubs selbst und verteilt
den Sand aus dem Anhänger. Zwei Tonnen werden insgesamt auf
dem Parcours verteilt, vor allem, um die Rutschgefahr in den Kurven
zu minimieren. Dazu hilft noch die Stadt Kevelaer mit einem Salzstreuwagen,
die die Wege ebenfalls frei räumt, vom Eis befreit und anschließend
zusätzlich mit Granulat versieht. Das Ergebnis kann sich wirklich
sehen lassen.
Zudem hat der ätzend kalte Wind des Vortages deutlich an Stärke
verloren und die Temperaturen nähern sich der Null-Grad-Grenze.
Nach dem Einlaufen wähle ich noch eine dünnere Bekleidungsschicht
als vorgesehen. Einige der einheimischen Weicheier würden bei
diesen Wetterbedingungen aber lieber den warmen Ofen vorziehen,
wie ich so mitbekomme, dabei sind die Voraussetzungen für einen
tollen Wintermarathon wirklich bestens gegeben. Für bayerische
Verhältnisse ist das heute nichts besonderes ...es ist
nur Winter.
Zum achten Mal findet der LLG Kevelaer Marathon heuer statt. Bis
2007 hieß der Lauf noch Honigkuchenmarathon, so werden ihn
vielleicht einige in Erinnerung haben. Gleich nach der damaligen
Veranstaltung, starb der Spender des Honigkuchens, der dem Marathon
den Namen gab und den die Teilnehmer gerne als Belohnung mit nach
Hause nahmen. Mit ihm verschwand auch der Name.
Einige der Glücklichen, die einen Startplatz ergattern konnten,
haben wohl der Angst vor Daisy nachgegeben, sodass letztlich nur
268 der 400 gemeldeten Läufer antreten. Schnee gab es hier
bei Rennen in den vergangenen Jahren überhaupt erst einmal,
aber nicht vergleichbar mit heute. Am Vorabend trafen wir noch einen
Läufer, der uns erzählte, hier in der Gegend überhaupt
noch nie auf richtigem Schneeboden gelaufen zu sein.
Von der Einfahrt zur Jugendherberge bis zum Startplatz sind es genau
195 Meter. Die Strecke ist ein 6 km-Rundkurs und 7 mal zu absolvieren.
Das sind genau 42 km, die fehlenden 195 Meter werden am Ende zurückgelegt
…genau, der Zieleinlauf ist nämlich an der Einfahrt zur
Juhe. Punkt 10 Uhr erfolgt der Startschuss. Schon nach wenigen Metern
gibt’s donnernde Rockmusik aus einem ausgedienten Militärtransporter
und viel Applaus von den dort postierten. Dann kommt auch die erste
Verpflegungsstelle nach knapp 1,5 km. Nach ihr geht‘s rechts
herum auf einen Rundkurs, vorbei an Feldern und Wiesen bis zum Ortsteil
Winnekendonk. Auf diesem Abschnitt von etwa einem Kilometer weht
uns eisiger Wind entgegen, aber aber, kein Vergleich zum Vortag
und schon locker auszuhalten ...es ist halt Winter.
In der nächsten Linkskurve am Ortsrand steht ein richtiger
Fanblock und feuert uns an. Sie sind gut ausgerüstet mit Glühwein,
Brotzeit und guter Stimmung, im Verlaufe der 7 Runden werden es
immer mehr und auch die letzten werden auf ihren letzten Runden
noch von ihnen bejubelt und angefeuert. Jedesmal werde ich namentlich
gegrüßt.
Die folgende lange Gerade führt ca. 1 km über freies Gelände
der Schravelner Heide, hier bläst uns wieder der kalte Wind
an. Kurz vor einem Waldrand macht unsere Runde wieder einen Linksknick
und nichts ist mehr vom Gebläse zu spüren. Mir wird sogar
richtig warm, des Öfteren entledige ich mich im Verlauf des
Tages für einige hundert Meter der Handschuhe um abzukühlen.
Die nächste der beiden Verpflegungsstellen kommt nach 4,5 km,
sie liegt genau gegenüber des ersten VP-Punkts und bedeutet
damit auch das Ende der Schleife. Hier werden warmer Tee, angewärmtes
Wasser (sehr angenehm bei diesen Temperaturen) ...und eiskaltes
Cola geboten. In späteren Runden hab ich zweimal versucht,
welches zu trinken, aber fast hätte es mir die Kehle vereist,
danach hab ich es sein lassen. Zum knabbern werden uns Bananen und
der legendäre Kevelaerer Honigkuchen angeboten.
Auf einer Begegnungsstrecke geht es zurück Richtung Ziel, wo
ein Wendepunkt über Matten der Zeitmessung eingerichtet ist.
Zum ersten mal ist heuer der ChampionChip im Einsatz, nachdem in
Vorjahren bei manchen ungewöhnlich schnelle Zeiten gestoppt
wurden. Anderthalb Kilometer in jede Richtung ist dieser Abschnitt
des Kurses lang, hier kann man in jeder Runde die vor einem liegenden,
aber auch die nachfolgenden gut beobachten und die Zeitabstände
ausrechnen oder sehen was derjenige heut drauf hat. Der Gegenverkehrsbereich
ist wirklich der unterhaltsamste Teil der Strecke, ich kann das
Feld beobachten und die anderen Autoren abklatschen und die mir
bekannten Grüßen. Ja, sogar ein Sätzchen ist mal
drin. Platz ist auf der schmalen Straße auch genug, obwohl
reger Gegenverkehr herrscht. Der einzige Wehrmutstropfen ist hier
der ruppige und anstrengende Bodenbelag, obwohl immer wieder mit
der Schneeschnippe geräumt und geebnet wird.
Immer wieder schneit’s mal ganz leicht, aber einmal hätte
es sogar fast die Sonne durch die dicken Wolken geschafft. Im Verlauf
des Rennens sind noch größere Passagen der freiliegenden
Streckenabschnitte ganz vom Schnee abgetaut. Der Präse des
100 MC Hajo Meyer schnupft mich in der 5. Runde, ich kann nur den
Hut ziehen, er läuft nicht nur viel sondern auch noch sehr
zügig und das in der AK 70. Bei mir läuft nicht mehr so
viel, meine Rundenzeiten werden immer langsamer. Die beiden letzten
Runden werden dann noch sehr schwer, mein Piriformis meldet sich
schon den ganzen Tag über, aber noch schlimmer sind die Probleme
mit meinen Adduktoren, denen ich in der letzten Runde einige Geheinlagen
verdanke.
Ich Ziel gibt’s anstatt einer Medaille dann einen kompletten
Kevelaerer Honigkuchen als Finisherpräsent und vom neuen Hauptsponsor
Erdinger das Siegergebräu. Auch unsere marathon4you-Truppe
schafft es einen Mann auf’s Treppchen zu bringen. Schnellster
war wie zu erwarten Anton, zweimal hat er mich heute überrundet,
am Ende damit den 8. Gesamtplatz erreicht und den 2. Platz in der
AK 50. 30 Marathons schafft auch er locker im Jahr, davon absolviert
er die meisten in einem Zeitenbereich von 3:15 – 3:30. 180
mal hat auch er sich schon auf den Langen Kanten gemessen. Das muss
ihm in diesem Tempo erstmal einer nachmachen.
Ein paar von diesen unglaublichen Läufern/innen habt ihr jetzt
kennengelernt, ich könnte locker noch einige mehr von den Kalibern
vorstellen.
Ein Schlussdank gilt neben dem unermüdlichen Veranstalter auch
noch Daisy, dank ihr können wir wieder die Heimreise ohne Vorkommnisse,
wie Staus oder Verkehrsbehinderungen hinter uns bringen, da sich
wieder keiner auf die Straßen traut. Im Übrigen können
weder Donald Ducks Gschmusi noch Mosi’s Hündchen was
für den Namen des Tiefs, verantwortlich ist nämlich eine
Patenschaft mit einer 24-jährigen Daisy aus Dresden.
"Kewelaar" war schon allein durch das Kennenlernen von
neuen angenehmen Zeitgenossen für mich eine Reise wert. Aber
auch das Rundenlaufen hat durchaus seine Vorzüge. |