25.6.2011 Zugspitz Ultratrail – Supertrail  
Autor: Bernie Manhard   Bericht mit 200 Fotos auf  
 
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Irgendwann, Ende August 2010 muss es gewesen sein, kurz nach dem berühmten Ultra-Trail du Mont-Blanc las ich eine Meldung auf Facebook, auf der von einem Trail rund um Zugspitze die Rede war, sozusagen die deutsche Ausgabe des UTMB. Die ersten Streckendaten lauteten: Ultra-Trail 100 km mit ca.6000 Hm und ein Supertrail 65 km mit über 3700 Höhenmetern.

Höhepunkt der Strecke um das Wettersteingebirge, sollte der Aufstieg auf die Zugspitze, bis zum Gletscherrestaurant SonnAlpin, auf einer Höhe von 2600 m sein. Startort für beide Distanzen Grainau. Genau das Richtige für Jan, Mario und mich. Wir waren sofort Feuer und Flamme und nach dem sich das Gerücht bewahrheitete fackelten wir nicht lange – noch dazu bei einem Teilnehmerlimit von 1000 Läufern – und meldeten uns gleich noch im September an. 6000 Höhenmeter müssen erst einmal bezwungen werden und da wir alle drei keine Gemsen sind und auch nicht im Bergland wohnen und somit nur im Flachen trainieren, haben wir entschieden mit der Supertrail-Strecke vorlieb zu nehmen.

So ganz genau stand die Route beim Veranstalter aber wahrscheinlich noch nicht fest, immer wieder gab es kleine Veränderungen bezgl. der Distanz. Der Hammer kam dann im März, – drei Monate vor dem Startschuss – SonnAlpin wurde gestrichen. „Aus Rücksichtnahme auf Natur- und Umweltschutz wird die Streckenführung beider Läufe leicht angepasst“, hieß es in der Pressemitteilung. Die Naturschutz-Behörde gab kein grünes Licht für diesen Aufstieg. Das bedeutete praktisch, der Zugspitz-Ultratrail wird ohne die Zugspitze stattfinden, wir werden sie nur umrunden und vielleicht von der Ferne sehen. Die Enttäuschung war erstmal riesengroß. Die neuen Daten der Strecke lauteten 101 km, 5672 Hm für den UT und 69,8 km, 3383 Hm beim Supertrail. Aus zuletzt 64 km wurden also knapp 70 km, dafür aber 300 Hm weniger, das versprach aber zumindest doch sehr anspruchsvoll zu werden.

Eine weitere gravierende Änderung war die Startortverlegung des Supertrail ins 40 km entfernte Leutasch in Österreich. Die Supertrailer laufen somit in die 100ter-Strecke bei ca. km 40 ein und absolvieren praktisch die Reststrecke des UT gemeinsam mit dessen Teilnehmern. Das verspricht für mich sehr interessant zu werden, da wahrscheinlich die zwei Stunden vor uns startenden Spitzenläufer des UT auf mich auflaufen werden und so einmal aus nächster Nähe zu beobachten sind.

Wie sich das alles jetzt auswirkt und wie viel Spaß und Abenteuer uns die Strecke bringt, das werden wir an diesem Wochenende feststellen. Einige Dinge gibt es aber bereits vorab zu beachten. Jeder Teilnehmer ist verpflichtet, ein ärztliches Attest vorzulegen das nicht älter als drei Monate ist. Dann kommt das Mitführen diverser Ausrüstungsgegenstände während des kompletten Wettkampf‘s. Vorgeschrieben sind da in erster Linie vernünftige Trailschuhe mit hochgebirgstauglichem Profil, die flachen Rennlatschen müssen daheim bleiben.

Eine wasserdichte Regenjacke, als Wärmebekleidung ein Langarmhemd und eine lange Laufhose, Handschuhe, Mütze. Dazu eine Stirnlampe, Wasserbehälter mit mindestens 1,5 Liter, eine Notfallausrüstung (Erste-Hilfe-Set, Rettungsdecke, Pfeife) und das alles schön in einem Rucksack verpackt. Mobiltelefon mit eingespeicherter Rescue-Nummer ist ebenfalls von Nöten. Empfohlen werden außerdem Teleskopstöcke und zusätzliche Verpflegung. Vom Veranstalter werden uns noch ein Trailbook mit Kartenausschnitten, Detailplänen und Höhenprofil der gesamten Strecke gestellt. Das ergibt letztendlich schon einen vollbepackten Rucksack, der mitzuschleppen ist.

Als kleinen Vorgeschmack bekamen wir schon am Mittwoch den offiziellen Song des Zugspitz-Ultratrail „Coming Home“ zugesandt. Der geht gleich gut ins Ohr und am liebsten möchte ich mich sofort auf die Strecke begeben. Spannend wird es auch, was das Wetter betrifft, nachdem die Prognosen lange Zeit sehr schlecht für uns aussahen, hat es sich jetzt aber doch ganz anders entwickelt und es könnten sogar hervorragende Bedingungen herrschen. Bereits am Freitag bin ich außergewöhnlich nervös und der Adrenalinspiegel steigt deutlich, da steht spürbar was Größeres an.

Also, auf geht’s nach Grainau!
Für Ortsunkundige, die Gemeinde liegt im Landkreis Garmisch-Partenkirchen, ein paar Kilometer entfernt von Garmisch. Der bekannteste, in Grainau Geborene wird wohl der Hans-Joachim „Striezel“ Stuck sein, der jetzt am Wochenende übrigens seine lange Rennfahrer-Karriere beendet hat. Die Startunterlagen im Kurhaus sind schnell empfangen, danach können wir noch durch die Trailrunning-Expo schlendern und ein paar Einkäufe tätigen, bevor wir es uns im Festzelt gemütlich machen. Zumindest sieht der Musikpavillon innen mit der großen Zeltplane danach aus, besteht aber aus mehreren festen Gebäudeteilen, über dessen freien Platz die Plane gespannt ist.

Ab 18 Uhr ist Beginn der Pasta Party. Manche lassen sich Berge von Nudeln aufladen, da fragt man sich schon, wie die das denn morgen den Berg hoch schleppen wollen, aber die sind ja auch gratis. In aller Ruhe kann ich das ausgegebene Roadbook studieren. Als erstes fällt mir sofort eine erneute Streckenänderung auf. Die Strecke ist jetzt einen Kilometer und ca. 260 Hm kürzer. Also aktuell noch 68,8 km und 3120 Hm. Die Ultratrailstrecke hat sich auch um dieselben Höhenmeter verkürzt, aber interessanterweise noch genauso lang wie vorher. Wie wir später im Briefing erfahren, wurde ein Abschnitt auf einem Höhenweg nicht genehmigt.

Um 19:30 Uhr ist das Zelt – ich bleib dabei – gesteckt voll. Das Erscheinen zum Streckenbriefing ist für alle Plicht. In 1,5 Stunden werden wir genauestens über das informiert, was ich euch schon in Kurzform verzapft habe und natürlich noch viel mehr und detaillierter, inklusive eines Hubschrauberfluges über die Strecke. Die Streichung der ursprünglichen Zugspitzbesteigung ist auch den Behörden zum Opfer gefallen, werden wir aufgeklärt. Und ganz wichtig, die Wetterfritzen sagen uns Null Niederschlag vorher und angeblich bis zu 7 Sonnenstunden.

Während die Läufer des Ultratrail in der Startaufstellung stehen, wartet für uns am Grainauer Dorfplatz der Shuttlebus-Service.
Fast eine Stunde dauert die Überführung nach Leutasch, Ortsteil Weidach. Es herrschen angenehme Temperaturen und hie und da blitzt sogar die Sonne durch die Wolken. 45 Minuten vor dem Start werden wir aufgerufen, um uns in die Startaufstellung zu begeben.

266 Läufer/innen stehen heute am Start, aber von jedem wird die Ausrüstung kontrolliert und das dauert etwas. Gut, wir müssen nichts, was wir mühevoll gepackt haben, wieder rauswerfen, aber die Herrschaften schauen schon rein, und lassen sich die wichtigsten Sachen zeigen. Trotzdem kommt mir bei manch einer/m der Rucksack schon sehr schmalbrüstig vor. Vielleicht hamm die ja ein Kondom als Regenüberzieherli dabei, da wäre gleich viel Platz gespart. Aber ist nicht meine Sache, ich hab auf alle Fälle alles parat.

Um 9 Uhr ist Start und als StartUp hätte ich jetzt eigentlich gedacht wird der offizielle Song „Coming home“ gespielt, der beginnt nämlich gleich passend: „Here I stand…“ aber Pustekuchen, AC/DC jagen uns mit „Highway to Hell“ aus Weidach hinaus. Passt natürlich zugegebenermaßen auch optimal, für manch einen wird’s vielleicht einer werden. Einen Kilometer nach der Ortschaft geht es am Weidacher See an den Preisfischern vorbei und danach rein in den Wald mit den ersten noch mäßigen Steigungen. Nach nicht einmal zwei Kilometern verliere ich schon eine meiner Wasserflaschen. Die Befestigung an der Stelle habe ich auch noch nie zuvor ausprobiert und jetzt weiß ich, da hält sie auf Fälle nicht. Ich hätte auch eine Trinkblase wählen können, aber mich nervt das ständige Wassergeschüttele im Rucksack, sodass ich Flaschen bevorzuge. Da ich noch wenig getrunken habe, transportiere ich sie vorerst noch in der Hand um mich mit Flüssigkeit zu versorgen.

Von Didi kann ich noch ein schönes Bild machen, dann passiert’s, beim hochziehen des Verschlusses, verpasse ich meiner Optik eine Direkteinspritzung. Es geht nichts mehr, so viel ich auch ausprobiere, vom Akkuwechsel bis zur Reinigung. Für mich ist das der reinste SuperGAU, noch 66 km zu laufen mit den schönsten Aussichten in spe und keine funktionierende Kamera. Nach ein paar Minuten gebe ich auf, jetzt muss ein Plan B her. Mario und Jan haben auch ihre Kameras dabei und laufen noch in meiner Nähe, ich bitte sie für mich Fotos zu schießen. Dann fällt mir ein, wir haben ja auch Notfallausrüstung am Mann und Handy ist auch an Board, wie praktisch. Die Kamerafunktion ist zwar umständlich aber in der Not frisst der Teufel Fliegen.

60 KM TO GO
Nach 11 km mit gemäßigten Auf und Ab‘s erreichen wir die Hämmermoosalm (1417 m), wo für uns Supertrailer die erste und für die UTler die 4. Versorgungsstation aufgebaut ist. Kurz zuvor fand die Streckenvereinigung beider Distanzen statt. Alle ST-Läufer müssen hier um 11:30 Uhr durch sein, das dürfte aber wohl jeder geschafft haben, ich habe 1 Std. plus. Das Höhenprofil unseres Roadbooks verspricht uns ab hier viele Höhenmeter hinauf zum Scharnitzjoch. Grund genug, um zum ersten Mal in meinem Laufleben die empfohlenen Teleskopstöcke als Aufstiegshilfe auszuprobieren.

Ich weiß eigentlich gar nicht so genau, wie ich mit diesen Dingern umgehen soll. Ob’s mir jetzt einer glaubt oder nicht, ich bin noch keinen einzigen Meter damit gelaufen. Das einzige was ich zuhause noch ausprobiert habe, ist die Teleskopfunktion. Stöcke zusammen schieben – festklemmen – wieder auseinander bauen – Größe einstellen. Ich weiß noch nicht einmal, auf welche Länge ich sie einstellen soll, wie ist da die Faustregel? Meine Skistöcke sind 1,25m lang und was beim Skifahren passt, sollte doch auch beim Trailrunning gut sein, darum passe ich sie einfach so an.

Die nachfolgenden Kilometer auf einem Steig durch den Gutwald lassen mein Trailer-Herz höher schlagen. Oftmals geht es wellig am Hang entlang, teils mit toller Aussicht nach unten, über Wurzeln, Stock und Stein und ein Bach muss auch einmal durchquert werden. Die Steigungen sind oft laufend noch gut zu bewältigen, die Trail-Poles stören mich deshalb noch hin und wieder. Aber heute bleibt noch viel Zeit um mit ihnen eine Einheit zu werden. Die Strecke ist bisher hervorragend markiert, ich kann keine Problemstellen erkennen. Plötzlich mittendrin, an der Wangalm stehen Kontrolleure und notieren unsere Startnummern, damit ja keines von den Schäfchen verloren geht.

Nach der Kontrollstelle verlassen wir die Baumgrenze, es geht in einen alpinen Bereich über und es wird deutlich rustikaler und steiler. Jetzt bin ich froh die Stöcke richtig einsetzen zu können. Eine Tellermine versperrt uns an einer Engstelle den Weg, die Streckenmarkierer haben gute Arbeit geleistet und den Kuhfladen mit greller Farbe markiert. Das muss ich natürlich per Foto festhalten, aber die Handy-Fotografiererei nervt mich tierisch, es ist mir einfach zu unkomfortabel und kostet sehr viel Zeit. Der Südwandsteig führt uns hinauf auf das Scharnitzjoch, dem zweithöchsten Punkt des ST-Kurses.17 km und 1150 Hm haben wir hinter uns. Ein letzter Wiederbelebungsversuch meines Fotoapparates schlägt fehl, ich fühle mich irgendwie wie auf Entzug. Als mir Mario seine anbietet, lasse ich mir das natürlich nicht zweimal sagen. Die großartige Aussicht kann ich so gleich mit einer Serie ablichten.

50 KM TO GO
Im Sandwich zwischen Gehren- und Leutascher Dreitorspitze geht es runter vom Berg. Der 1050 Hm lange Abstieg ist aber nicht von Pappe. Durch die Regenfälle der Nacht sind die Pfade und Wiesen, durchsetzt mit Felsen und Steinen, äußerst glitschig und schlammig. An manchen Stellen pappt einem der Dreck zwischen den Stollen, was das Gewicht der Schuhe gefühlsmäßig gleich verdoppelt. Weiter unten geht es durch den Wald, in dem man es wieder mehr laufen lassen kann. Aber das Ganze geht unglaublich in die Oberschenkel und die sind jetzt fast am platzen, da bräuchte es jetzt Muskelpakete wie sie manche Radler haben. 7,5 km bergab liegen am Hubertushof in Reindlau hinter uns, wo auf Mario und mich die nächste VP erwartet. Der Cut liegt hier, nach nicht ganz 25 km bei 5:45 Std. Durch einen aufgeblasenen Tunnel geht es rein in die Station. Jede Menge Leute sitzen und stehen in der Röhre, ob hier auch der angekündigte Ärztecheck vorgenommen wird, kann ich nicht ausmachen, aber könnte sein. Aufgehalten werde ich jedenfalls nicht, vielleicht sehe auch noch zu gut aus, sie schaun aber auch nicht auf meine Oberschenkel. Interessanter wird es natürlich für den Dottore erst, wenn die Läufer des 100ter hier eintreffen.

Leckere Tomatensuppe ist das erste was ich mir an Verpflegung schnappe und dann gleich im Liegestuhl verspeise. Das ist wirklich ein guter Service, meine Muckis danken es. Eine ganze Menschenmenge hat sich hier versammelt, weniger Läufer, denn Betreuer und Serviceleute. Der Streckenchef ist auch da und einige Reporter mit Kameras, die werden wohl kaum wegen mir da sein. Nein, natürlich nicht, schon kommt der erste der beiden spanischen Favoriten vom UT angerauscht. Kurz hinter Miguel Heras kommt auch der zweite Iker Karrera Aranburu an. Zwei bis drei Minuten werden sie sich wohl aufgehalten haben und schon sind sie wieder weg. Unmittelbar danach kommt unser deutscher Crack Matthias Dippacher rein. Sofort stürzen sich die Kameraleute auf ihn. Mit der Kamera unter der Nase muss er sich hier verpflegen. Schon mal interessant das mittendrin zu beobachten. Da schieße ich natürlich auch ein paar Fotos aus nächster Nähe.

40 KM TO GO
Mit Matthias verlassen wir die Station. Was nachfolgt, hätte ich eigentlich bei diesem Lauf gar nicht so erwartet, aber wir laufen jetzt doch tatsächlich ca. 7 km fast vollkommen im Ebenen. Zuerst im Leutaschtal am Fluss entlang und später sogar noch ein, zwei Kilometer auf einer Teerstraße geht es flach dahin. Erst in der Geisterklamm wird es wieder hügeliger. Mittendrin passieren wir die Staatsgrenze nach Deutschland. Nach durchqueren der Klamm mit einem kurzen Abstieg geht es erneut einen Kilometer flach weiter bis zum Ortsrand von Mittenwald.

Danach dürfen wir wieder kraxeln, aber alles im gutmütigen Rahmen, meist durch den Wald mit einigen schönen Pfaden. Das mäßige Auf und Ab zieht sich ein paar Kilometer dahin. Nach umrunden des Ferchensees erreichen wir nach 38 km die nächsten Versorgungsstelle. Eine deftige Brotzeit macht mich jetzt an, daher greife ich mir Wurst, Käse, Gurken, Tomaten und Brot und als Nachspeise nehme ich Kuchen und Orangen. Alle Stationen sind wirklich gut ausgerüstet, leider sehe ich kein Cola.

30 KM TO GO
Statt des ausgefallenen Höhenweges geht es auf dem komfortablen Bannholzerweg recht unspektakulär im Wettersteinwald weiter. Der Forstweg führt meist noch oben und der Aufstieg ist eigentlich nicht sonderlich schwer, aber sowohl Mario als auch ich, sind in einer Krise. Was heißt hier Krise, eigentlich sind wir total down. Und laufend kommen wir beide gerade nicht einmal die leichtesten Steigungen hoch. Nur abwärts lassen wir uns nicht lumpen und lassen die Beinchen etwas rollen, aber da ist auf den folgenden 6 Kilometern wenig dabei.

Von einer Helfergruppe werden wir mit dem Verweis: „noch 2km bergab dann kommt die Verpflegung“ den Kälbersteig hinunter geschickt. Nach dem ersten Steilstück kommt ein fantastischen Trail durch den reinsten Märchenwald. Naturtreppen, bemooste Baumstämme und Wurzelbündel wie Nester von Riesenschlangen, Farne, Baumpilze, alles in üppigen Grün, wechseln sich ab. Jetzt fehlt nur noch das Hexenhaus mit Hänsel und Gretel. Und irgendwie, komme ich aus diesem Prachtabstieg wie verhext an der Futterstation im Reintal an der Partnach an. Bis ins Ziel ist „nur“ noch ein Halbmarathon zu laufen. 8 Stunden haben wir bis hierher für die 48 km benötigt, das Zeitlimit steht bei 11 Stunden. Wir haben trotz Schwächeperiode drei Stunden Bonus.

Am Stand wird uns eine leckere Tomatensuppe serviert, dazu hätte ich gerne Cola. Bei Nachfrage wird mir ganz verschämt ein verdünntes Schlückchen eingeschenkt. Nach ausgiebiger Verpflegung steht die letzte Prüfung an, der Aufstieg bis unterhalb der Albspitze. 1200 Höhenmeter müssen auf den nächsten 12 km überwunden werden. Als ersten Höhepunkt passieren wir den Eisernen Steg über die Partnachklamm, jedes Jahr besuchen die Klamm mehr als 200.000 Menschen. Bereits 1912 wurde sie touristisch erschlossen und zum Naturdenkmal ernannt. Die Länge beträgt ca. 700m und in die Tiefe geht es 80m.

20 KM TO GO
Ich habe mich prima erholt und kann sogar an Steigungen wieder laufen. Mario ist mein Aufstiegstempo zu hoch, daher ziehe ich davon. Je höher ich komme, umso beeindruckender wird die Route durch den Stuibenwald. Serpentinartig führt der schmale Singletrail nach oben. Ja, wirklich sensationell schön, ein Fortsetzung des vorher durchquerten Märchenwaldes. In den Ästen hängen die Moosviecher und schauen auf unser Treiben herunter. Gebückt geht es durch ein natürliches Spalier aus Büschen. Vorsicht ist angesagt beim überqueren des Rinnsals am steilabfallenden Hang. Und immer diese üppige Grüne. So schön das alles ist, irgendwann möchte ich auch oben ankommen, der Gipfelsturm nimmt einfach kein Ende, ich komme mir zwar vor wie auf einer Stairway to Heaven, würde aber trotzdem gerne unsere letzte V-Station erreichen. Bezahlt macht sich hier das Mitführen zusätzlicher Wasserrationen.

Geschlagene 2:15 Std. benötige ich für die ca. 8 km vom Reintal herauf bis zur Talstation Längenfelder. Um 22:30 Uhr muss hier der letzte Supertrailer durch sein, somit hat man 11, 5 Std. Zeit bis zum letzten Cut. Ganz oben sind wir damit aber noch nicht, von hier ist noch eine 7,5 km lange Schleife über die Bergstation der Alpspitzbahn zu vollziehen, ehe wir hier noch einmal vorbei kommen. Aber erst einmal ist Brotzeitpause angesagt. Es gibt wieder die schmackhafte Tomatensuppe, diesmal sogar mit vorbereiteten Brotstückchen. Ich wage wieder die Frage nach Cola. „Wir haben zu wenig eingekauft“ bekomme ich zur Antwort. Jeder bekommt nur einen paar Zentimeter in einen Becher eingeschenkt. Diese Planung sollte vom Veranstalter bis zum nächsten Jahr deutlich erhöht werden, bin nicht nur ich der Meinung.

An jeder Verpflegungsstation und an vielen weiteren Punkten an der Strecke wird von Helfern oder Bergwachtleuten die Startnummer notiert. Sicherheit wird groß geschrieben.

500 m weiter kann ich die spektakuläre Aussicht über die Alpen genießen. Mit Sonne wäre die Sicht natürlich deutlich besser, die hat uns aber bis auf ein paar Blitzern aus den Wolken, den ganzen Tag im Stich gelassen. Aber ich möchte mich nicht beklagen, wir hatten bisher optimale Bedingungen zum Laufen. Optimal ist auch der Weg Richtung Alpspitzbahn, aber einfacher deswegen nicht. Steil zieht sich der Wirtschaftsweg zum Osterfelderkopf hinauf, zudem bläst uns ein kalter Wind entgegen. Viele bedienen sich hier ihrer Wärmeklamotten.

Nach einer weiteren Kuppe liegt die Alpspitze majestätisch direkt vor mir. Das Wahrzeichen von Garmisch-Partenkirchen wird ja als der schönste Berg der Alpen und als Herzstück des Wettersteins bezeichnet. Wanderer, Bergsteiger und sonstiges Klettervolk finden an ihr ein wahres Paradies vor. Von einfachen Wanderwegen, Klettersteigen zum Gipfel und jeder Menge Kletterrouten ist alles geboten. Hinter mir taucht die erste Dame des UT auf. „Trailschnittchen“ Julia Böttger wird ihrer Favoritenrolle eindrucksvoll gerecht. Sie ist aber auch aus besonders hartem Holz geschnitzt. Im Vorjahr ist sie in 3 Wochen von Bad Tölz nach Chamonix über die Berge gelaufen um am UTMB zu starten. Aufwärts spart sie sich heute auch ihre Kräfte, aber als es dann runter geht, ist sie in Null komm nix aus meinen Augen verschwunden.

10 KM TO GO
Kurz nach dem 10KM-TO-GO-Schild habe ich den höchsten Punkt dieses Aufstiegs (2029m) erreicht. Etwas unterhalb der Alpspitzbahn-Bergstation geht es wieder runter. 1300 Hm abwärts liegen jetzt vor mir. Vom Steig in der Felswand ist der Blick hinunter nach Garmisch am eindrucksvolls-ten. Aber es wird schon ganz langsam dämmrig, eigentlich will ich die Stirnlampe heute nicht benützen. Mir ist aber der Abstieg hier viel zu gefährlich und nehme lieber kein allzu großes Tempo auf. Vom Veranstalter sind auch Schilder aufgestellt „Achtung Beginn gefährliche Passage“. Habe ich im Hellen natürlich auch schnell erkannt, weil es ein paar Zentimeter links steil nach unten geht. Aber der Großteil der UT-ler muss hier in der Nacht runter und das ist bestimmt kein Zuckerschlecken und nicht so leicht erkennbar. Bereits jetzt ist das schon saugefährlich, weil es zwischendrin immer mal leicht nieselt und das Gestein rutschig ist.

Zurück an der Längenfelder Station lasse ich mir als erstes noch einmal die Tomatensuppe schmecken. Wieder nach Cola zu fragen, verkneife ich mir, ich habe ja nur mehr dieses „kleine“ Reststück den Berg runter. Die Ultratrailer benötigen diese kurze Energiezufuhr sicher nötiger als ich, vor allem weil ich mich auch immer noch sehr gut fühle. Ich würde jetzt gerne für den Talablauf meine Stöcke wegpacken, frage aber mal vorsichtshalber nach, wie sich die Strecke den noch so gestaltet. „Ich würde sie schon noch verwenden, es kommen noch ein paar heikle Abschnitte“ bekomme ich als Antwort.

Was er damit gemeint hat, wird mir schon nach den ersten Metern klar. Steil und diffizil geht es zwischen scharfkantigen Felsen und Gestein nach unter. Das ist ja der Wahnsinn, eigentlich habe ich mich auf einen schönen Laufabschluss den Berg runter gefreut, aber weit gefehlt. Tempo kann man hier überhaupt nicht aufnehmen, wenn es einen da zerbröselt, muss man schon viel Glück haben, mit ein paar Schürfwunden davon zu kommen. Jetzt weiß ich auch warum wir ein Erste-Hilfe-Set im Rucksack haben. Anlaufen – bremsen – anlaufen – bremsen … so läuft das hier ab. Und es ändert sich auch nicht viel, je weiter ich runter komme. Mittlerweile ist es Kuhnacht und ich habe meine Stirnlampe aufgezogen. Zur Steilheit und kommen weiter unten noch rutschige Abschnitte hinzu, mehrmals kann ich mich nur noch in letzter Not mit den Stöcken retten. Die sind hier so eine Art Lebensversicherung für mich und ich hab sie schon richtig lieb gewonnen. Hey, warum werden eigentlich überwiegend nur die Höhenmeter aufwärts erwähnt? Beim Supertrail müssen sogar noch fast 400 Hm mehr negativ bewältigt werden, sodass wir auf ca. 3500 Hm abwärts kommen und die sind teilweise wirklich der Hammer.

140 Bergwachtler stehen heute an vielen Stellen bereit, jetzt am Abend haben sich viele ein Feuer gemacht und eine Zeltplane aufgespannt um darunter die Nacht zu verbringen. Größten Dank von meiner Seite an alle an dieser Stelle und auch den vielen sonstigen Betreuern an der Strecke, die über einen so langen Zeitraum bereit stehen um uns zu helfen oder im Notfall einzuspringen. Die Wegmarkierungen sind trotz Dunkelheit für mich problemlos auszumachen und so finde ich die richtige Spur nach unten. Zum Abschluss bekommen wir noch eine ganz enge, supersteile und rutschige Passage geboten, die es gewaschen hat. Auch wenn ich mich wiederhole, dieser Bergabstieg ist der Wahnsinn. Später erfahre ich, dass es hier herunter Jan einmal richtig überschlagen hat und Mario hat sich gleich 3 x lang gelegt.

Die beiden Schlusskilometer führen über Teerstraßen nach Grainau, viele Anwohner stehen vor ihren Häusern und feuern uns an. Ich hätte heute sogar noch ein paar Kilometer drauf, kann alles durchlaufen und ein paar Verfolger abschütteln, ich fühle mich immer noch prächtig. Zu Mitte des Rennens hätte ich davon nicht zu träumen gewagt. Der Zieleinlauf in der Nacht, nach über 13 Stunden ist wirklich absolut geil und ein unglaubliches Glücksgefühl führt mich hinein ins „Zelt“ des Musikpavillion wo ich von vielen Menschen mit Applaus empfangen werde. Jan ist schon über eine Stunde da und Mario kommt 40 Minuten nach mir – trotz Stürze – wohlbehalten rein.

...eine Stunde nach Zieleinlauf sind wir der Meinung, nie wieder so was Hartes zu machen.

...drei Tage später, nachdem alle Bilder und Filme angesehen sind, sind wir der Meinung: "War schon ein geiler Lauf, der 100ter müsste doch eigentlich zu packen sein".

Plichtausrüstung
Das war alles Plicht.
Ortseingang Grainau
Begrüßung am Ortseingang.
Jan braucht noch eine neue Rennhose.
Matthias Dippacher (re)
Unser deutscher Favorit Matthias Dippacher (re).
Musikpavillon Grainau.
"Trailschnittchen" Julia Böttger
Damenfavoritin "Trailschnittchen" Julia Böttger.
Virtueller Hubschrauberflug über die Strecke
Virtueller Hubschrauberflug über die Strecke.
Alpspitze
Die Alpspitze leuchtet.
Bustransfer nach Leutasch
Mit dem Bus nach Leutasch.
Gemütliches Plätzchen im Bus.
Startplatz Weidach
Startplatz in Weidach/Leutasch.
Jan, Bernie & Mario
Wir sind bereit.
Ausrüstungskontrolle
Die Ausrüstung wird kontrollier.
Die ersten Meter in Weidach.
Noch ist es flach.
Jan
Der erste Anstieg.
60 KM TO GO
Noch 60 km.
Brotzeit an der Hämmermoosalm
V1 an der Hämmermoosalm.
Herrlicher Trail
Ein herrlicher Trail.
Der Bach musste auch überquert werden.
Tellermine
Die Tellermine war gut markiert.
Es wird immer rustikaler.
Unterhalb Scharnitzjoch
Aufstieg zum Scharnitzjoch.
Scharnitzjoch
Unser erster Gipfel am Scharnitzjoch.
Kleine Abwechslung.
Die Führenden
Die führenden Spanier.
Kleine Verschnaufpause.
Grenze
Grenzübergang in der Geisterklamm.
Geisterklamm
An der Geisterklamm.
Ferchensee
Ferchensee.
Steil geht es den Kälbersteig runter...
Märchenwald
...anschließend der reinste Märchenwald.
Partnachklamm
Partnachklamm.
Schönes Panorama auch mit Wolken.
Unterhalb der Alpspitze.
Garmisch
Blick auf Garmisch.
Steil und gefährlich geht es runter.
Zieleinlauf
Geiler Zieleinlauf in der Nacht.
Jan
Bernie
Mario
11:57:51
13:07:35
13:46:52
 
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Laufbericht 2012 2012 Vertikal Limit | Bernie Manhard

Laufbericht 2014 2012 Berghelden | Bernie Manhard
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