11.6.2016 Scenic Trail
Autor: Bernie Manhard
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ber16
 

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Als die mediterrane Seele der Schweiz wird das Tessin auch gerne bezeichnet. Mit ihren beeindruckenden Landschaften mit herrlichen Ausblicken auf Berge und Seen bietet es ganz besondere Reize. Rund um den Luganer See und Lago Maggiore blühen Magnolien- und Kamelienbäume in verschiedensten Farbtönen, dazu wachsen Zitrusfrüchte und Palmen im Angesicht schneebedeckter Berge. Die kalten Luftmassen aus dem Norden werden von der Alpenkette weitgehend zurückgehalten, so kann sich das warme Mittelmeerklima hier wunderbar ausbreiten.

Ganz im Süden des Tessin oder Ticino, wie es im Italienischen heißt, liegt Lugano in einer Bucht am Nordufer des Luganer Sees, umgeben von mehreren Aussichtsbergen an der Grenze zu Italien. Einen Besuch lasse ich mir natürlich nicht entgehen. Bei einem Spaziergang an der Uferpromenade und anschließender erster Gipfelvisite auf dem Monte Bré bei schwülwaren 26 Grad und weiß-blauem Himmel fühle ich mich wie im Urlaub. Ein Sprichwort der Einheimischen lautet: „Hier ist es so schön, dass die Sterne näher zusammenrücken, um einen Platz über dem Paradies zu ergattern." Ich kann das bereits nach meinen ersten Stunden vor Ort gut nachvollziehen.

Ultra Race of the Year

Etwas nördlich von Lugano erstreckt sich eine grüne, von Birken-, Buchen- und Kastanienwäldern bedecke Hügellandschaft, die Capriasca. Tesserete, etwa fünf Kilometer von Lugano entfernt, ist der zentrale Ort dieser wenig bekannten Gegend. Hier befinden sich Start und Ziel des Scenic Trail. An der Sportanlage können wir in einem großen Zelt unsere Startunterlagen empfangen und hier befinden sich auch Massage, Umkleiden und Duschen. Parkplätze sind in dem engen Ortsgeflecht und auch vor der Anlage selbst eher Mangelware. Also hat man kurzerhand den fünf Fußminuten entfernten Rasenplatz der Kicker zweckentfremdet und als Parkplatz zur Verfügung gestellt.

Start, Ziel und ein kleines Veranstaltungs-Village sind direkt in der Ortsmitte untergebracht, auch nur fünf Gehminuten entfernt. So hat man das Gefühl, die ganze Ortschaft ist in die Veranstaltung eingebunden. In einer ebenfalls nicht weit entfernten Turnhalle werden Schlafplätze zur Verfügung gestellt.

Ein Panoramaweg, der einem grasbewachsenen Grat folgt, bildet einen Großteil der Strecke des Scenic Trail. Bis auf Höhen über 2100 Meter führt der Rundkurs. Insgesamt sind dabei fast 4000 Höhenmeter zu erklettern und wieder abzusteigen mit spektakulären Aussichten nach Norden zu den Alpengipfeln und zum Ostufer des Lago Maggiore, nach Süden Richtung Comer See und in den Golf von Lugano.

Bei den landschaftlichen Vorzügen fällt es mir nicht besonders schwer zu verstehen, warum der Lugano & Capriasca Scenic Trail bei den Swiss Ultra Trail Awards 2015 zum schönsten Trail der Schweiz, bzw. zum „Ultra Race of the Year“ gewählt wurde. Im Übrigen mit weitem Abstand vor deutlich namhafteren Vertretern der Schweizer Trail-Zunft.

Drei Streckenlängen werden angeboten. Die komplette Runde des Trail 54K beinhaltet genau 54,2 Kilometer und +/- 3900 Höhenmeter. Der höchste Punkt des Kurses liegt auf 2116 m. Der kürzere Trail 24K ist auf seinem Abschnitt identisch mit dem 54K und weißt 2200 vertikale Meter auf. Neu hinzugekommen ist heuer der reine Berglauf Vertical della Croce. Hier sind auf 5 km stolze 1000 Höhenmeter zu meistern. Dieser Wettbewerb wird aber erst separat am Sonntag ausgetragen, im Gegensatz zum gemeinsamen Start der Trails 54K & 24K am Samstag. Sollte also jemand nicht genug bekommen, besteht die Möglichkeit eines Doppelstarts.

Regen im Paradies

Nachts um 4 Uhr werde ich wach, es blitzt und donnert und kübelt aus allen Rohren: Regen im Paradies. Schlagartig fällt meine Stimmung in den Keller …obwohl es ja genauso vorhergesagt war. Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Die Kleiderwahl wird wieder einmal zur schweren Entscheidung. Die Vorhersage war aber eindeutig und so habe ich für alle Varianten was dabei. Nur, alles passt natürlich nicht in den Rucksack. Kurze Tight, eine lange darüber, feste Regenjacke, um ablegen zu können, scheint mir die beste Lösung zu sein. Die Temperaturen auf 2000 m sollen bis auf 5 Grad fallen. Insgesamt soll das Wetter aber im Laufe des Tages besser werden.

Als Startzeit ist 7:00 Uhr vorhergesehen. 30 Minuten vor dem Start sollte eigentlich ein Briefing stattfinden. Hier ist nichts. Ich marschiere zum Startplatz in die Stadtmitte, auch hier haben sich nur ganz wenige eingefunden. Ich frage einige Deutsch sprechende, niemand weiß etwas. Ich bin bereits durch die Regenjacke nass, lege noch einen Plastikponcho an. Kurz vor 7 Uhr beginnt man erst mit dem Aufbau des aufblasbaren Startbogens. Ist man hier wirklich so locker drauf: Dolce Vita in Ticino oder so ähnlich? Oder habe ich irgendwas verpasst? Um 7 Uhr geht ein Micro an: La partenza delle gare 54K e 24K é ritardata alle 8h00. Später noch übersetzt ins Englische: Der Start ist auf 8 Uhr verschoben. Die Startverschiebung wurde per Mail bereits um 6 Uhr versandt. Die Mail lese ich, als ich wieder zu Hause bin …

Startverschiebung

7:45 Uhr. Es hat tatsächlich fast aufgehört zu regnen, nur mehr ein paar Tropfen fallen. Da hat der Veranstalter wohl einer guten Wettervorhersage vertraut. Viele entledigen sich wieder ihrer Regenjacken. Ich traue dem Frieden noch nicht, aber die Folie muss wieder runter. Um 8 Uhr wird pünktlich gestartet: …cinque – quattro – tre – due – uno – Forza! Als Gesamt-Zeitlimit sind 15:15 Stunden vorgegeben. Da also auch einige erst in der Nacht wieder hier eintreffen werden, ist für alle auch eine Stirnlampe vorgeschrieben. Die Liste der Pflichtausrüstung ist lang und in meinen Augen auch sinnvoll. Explizit kontrolliert wurde sie aber nicht, das könnte aber jederzeit auf der Strecke passieren, laut Veranstalterinfo.

Eine kurze Ehrenrunde drehen wir noch durch den Ortskern, vorbei an der Hauptsehenswürdigkeit von Tesserete, der Pfarrkirche San Stefano. Ihr romanischer Glockenturm ragt siebengeschossig aus der Mitte der heutigen Kirchenfassade empor. Dann beginnt nach einem Kilometer der Aufstieg in höher gelegene Orte. Es fängt wieder zu regnen an, hektisch packen einige ihre Regenjacken wieder aus.
Durch verwinkelte Gassen schlängeln wir uns durch Bigorio. Ein Kreuzweg, dessen über zweihundert Jahre alten Kapellen mit modernen Sgraffito-Malereien ausgestattet sind, führt uns am ältesten Kapuzinerkloster der Schweiz vorbei. Vor zwanzig Jahren wurden die rustikalen Steinkapellen saniert und von Tessiner Künstlern neu bemalt. Das Licht ist schwierig und diffus, so kann ich keine vernünftigen Bilder vorweisen.

Über gepflasterte Wege, Wiesen und entlang der im Tessin üblichen Steinmauern geht es stetig nach oben. Kurz erhalten wir immer wieder erste Überblicke in den noch ziemlich wolkenverhangenen Landstrich der Capriasca, die überwiegend mit Birken- und Buchenwäldern bedeckt ist. Den Monte Bigorio erreichen wir nach genau 5 Kilometern. Mittlerweile hat es wieder aufgehört zu regnen, die Sicht hat sich deutlich verbessert und wir haben eine erstaunlich gute Sicht auf den Luganer See. Viele nützen diesen ersten Aussichtspunkt für Selfies und Fotoaufnahmen mit dem Golf von Lugano. Wer weiß, was noch kommt.

Die nächsten drei Kilometer dienen der Erholung, etwas wellig aber meist leicht bergab führen sie auf gut zu laufenden Wegen, über Wiesen und Pfade zum nächsten langen Anstieg. Ab Gola di Lago geht es zunächst auf einer asphaltierten Straße bis zur Alpe Davrosio. Dem Ziegenbock gefällt so gar nicht, dass ich ihn fotografiere. Lange meckert er mir hinterher. Bis zu unserer ersten Verpflegungsstation gilt es noch 400 Höhenmeter auf 4 km Länge aufzusteigen. Eine Wolkenschicht verschleiert uns zwischendurch die Aussicht gewaltig.

Großartig ist dann aber der Blick vor dem schmiedeeiserenen Kreuz von Motta della Croce (1393 m) hinunter auf Lugano und dem See. Morgen wird hier der Zielbogen des „Vertical della Croce“ stehen. Hundert Meter weiter erreichen wir unsere erste Versorgungsstelle und zugleich nach 12 Kilometern auch ein erstes Zeitlimit. In drei Stunden ist dieser Abschnitt zu bewältigen. Ich habe dringend Stärkung nötig und gönne mir ein paar Minuten Pause. Zeit habe ich genügend und die drei Stunden sind auch problemlos einzuhalten. Das Angebot ist reichhaltig. Von Käse, Kuchen bis zu Obst, Nüssen, Schokolade und Riegeln ist alles zu haben. An Getränken werden Cola, Iso und Wasser angeboten. Wie mittlerweile bei vielen umweltbewussten Trails werden auch hier keine Becher ausgeben, sie gehören zur Pflichtausrüstung.

An der Station packe ich auch meine Stöcke aus, denn jetzt geht‘s richtig los, es wird spürbar steiler. Hier beginnt der eingangs erwähnte Wiesenkamm. Wir steigen als nächstes auf zum Monte Bar (1816 m). Erstaunt bin ich, wie wunderbar die Wiesen zu belaufen sind. Trotz der massiven Regenfälle heute Morgen sind die Pfade so gut wie trocken und keine Wasserpfützen zu finden.

 
Lugano Der Zuckerhut der Schweiz Lugano
Monte Brè Brè Brè
Startverschiebung   200 Jahre alte Kapellen Erster Aussichtspunkt am Monte Bigorio

Monte Gazzirola – Am höchsten Punkt

Es geht aber nicht durchgehend nach oben, zwischendrin ist auch eine „steile Abfahrt“ zu bewältigen, vor der wir per Hinweisschild gewarnt werden. Alles halb so schlimm, der Wiesenkamm ist wirklich ein Traum, ich bin schwer begeistert. Weiter geht es in leichtem auf und ab zum Passo di Pozzaiolo, von wo ein schweißtreibender Trail auf den Gazzirola hinaufführt. Leider vollkommen ohne Aussicht. Auch wenn es optisch so aussieht, den Gipfel haben wir am 20 km-Schild noch nicht erreicht. Wir müssen erst noch über ein langgestrecktes Plateau, um das Gipfelkreuz zu Gesicht zu bekommen. Leider ist der Monte Gazzirola (2116 m), unser höchster Punkt der Strecke, vollkommen in den Wolken. Es gibt nix zu sehen.

Über einen stark ausgewaschenen Pfad, der viel Aufmerksamkeit erfordert, geht es wieder sehr steil abwärts ins Valcolla Tal zur Capanna San Lucio. Die Hütte liegt am Passübergang zur italienisch-schweizerischen Grenze. Nach 24 Kilometern ist für die Teilnehmer des kürzeren Trails finito, sie haben ihr Ziel erreicht. Für ihren Rücktransport nach Tesserete dürfen sie aber noch gemütlich 3 Kilometer ins Tal absteigen, denn von hier ist kein Shuttle möglich. Der Cut-Off liegt bei 6 Stunden, ich habe eine Stunde Luft und kann mich so in aller Ruhe endlich von meinen vollkommen durchnässten Klamotten trennen. Nachdem bereits erste Wolkenlöcher auszumachen sind, nehme ich einen kompletten Kleiderwechsel auf kurz-kurz vor. Samt ausgiebiger Verpflegung kostet mich das zwar 20 Minuten, aber in trockener Bekleidung weiterlaufen zu können, ist unbezahlbar.

Nachdem der 24K zu Ende ist, geht es für mich einsam weiter. 500 Meter vor mir ist eine Gruppe, 500 Meter hinter mir kommt ein einzelner Läufer nach. Das Feld ist weit auseinandergezogen. Seit dem Gazzirola schlängeln wir uns praktisch immer an der Schweizer-Italienischen Grenze entlang. Südwärts geht es über zwei grasige Hügel, den Monte Cucco und den fast gleich hohen Colmo di San Bernardo. Die Gruppe vor mir ist gesprengt, ich kann einen Läufer überholen. Die Horde Ziegen im Nebel macht sich gut, tolles Bild. Ich benötige aber Trailrunner, um nicht nur Landschaftsaufnahmen auf den Speicherchip zu haben.

Nach einem kurzen Zwischenabstieg in die Bocchetta di San Bernardo geht's wieder steil bergan über einen latschenbewachsenen Hang zur Cima di Fojorina, dem höchsten Punkt in dem lang gestreckten Grenzkamm. Wir sind jetzt wieder auf knapp über 1800 m. Sehr felsig ist es hier oben. Während des Aufstiegs kann ich wieder einen Läufer überholen, aber er schwächelt, kann mir nicht lange als Bildmotiv dienen. Der Gruppe vor mir komme ich aber langsam näher.

Am Gipfelkreuz des Fojorina hängen die Wolken tief. Auf der italienischen Seite geht es um die Türme der Cima dell'Oress herum und weiter an einem Grat abwärts in einen Wald. Ich bin jetzt auf die Gruppe vor mir aufgelaufen, endlich bekomme ich wieder Läufer auf die Bilder. Und es gibt auch gleich richtig Action im Wald. Der Waldboden ist vollgesaugt mit Wasser, wie auf Schmierseife balancieren wir nach unten. Keiner kommt ohne eine Gratis-Fangopackung durch den tiefen Schlamm. Ich bin froh mit Stöcken unterwegs zu sein, so kann ich mich oft doch noch irgendwie abfangen. Aber saumäßig Spaß macht’s schon.

Nach 30 km erreichen wir die Capanna Pairolo, unsere 3. Versorgungsstation. Cut-Off sind 8 Stunden. Hört sich nach viel an, man sollte aber auch die fast 3000 Höhenmeter einkalkulieren, die wir hier in etwa bereits hinter uns haben. Ich muss erst Hände und Kamera reinigen, bevor ich mich mit einer warmen Bouillon und Käse stärke.

Nachdem ich mich einige Zeit hinter den drei italienisch sprechenden Jungs gehalten habe und mir ihr Tempo sehr gut passt, beschließe ich, mich der Gruppe anzuschließen. Samuel, Claudio und Kevin sind astreine Local-Heros aus Tesserete und sprechen kein Wort Deutsch. Die Tessiner Bevölkerung fühlt sich mit ihrem Nachbarn Italien kulturell stark verbunden, die Amtssprache im Ticino ist Italienisch. Für 87,7 Prozent ist es auch ihre Hauptsprache, 10,8 Prozent geben Deutsch an. So können wir nur in Englisch miteinander kommunizieren. Macht aber nix, sie sind so locker drauf und mir macht es auch Spaß, mit ihnen zu laufen. Außerdem machen sie sich gut auf den Bildern.



Birkenwald Alter Meckerer Motta della Croce
Aufstieg zum Monte Bar Aufstieg am Monte Bar Abstieg am Monte Bar
Steiler Aufstieg zum Gazzirola Schwieriger Wiesenkamm San Lucio, Ziel des 24K

Monte Boglia – Der Platz im Paradies

Auf teils spektakulären Trails durchqueren wir unterhalb der Gipfel die Denti della Vecchia (auf Deutsch: „die Zähne der Alten“). Die Bergkette gehört zu den historischen Kletterorten im Ticino. Generationen von Kletterern haben die Wände, Felsnadeln und Steilhänge der „Tessiner Dolomiten“ schon erforscht. Meistens geht es durch einen Laubwald, der angenehmen Schatten spendet, aber auch sehr matschig und dadurch rutschig ist. Mittlerweile scheint die Sonne und die Temperaturen sind sprunghaft angestiegen. Atemberaubende Aussichten werden uns geboten. Manchmal schimmert der See durch die Bäume oder scharfkantige Felsformationen.

Als letzter richtig steiler Aufstieg steht uns der Gipfel des Monte Boglia (1516 m) bevor, auf dem Höhenprofil als giftige steile Spitze angezeigt. Über zwei Kilometer geht es serpentinenartig im hohen Buchenwald deftig nach oben, bis wir kurz unterhalb des Gipfels wieder auf unseren „berühmten“ Wiesenkamm wechseln. Die Aussicht am Gipfelkreuz ist gewaltig. Unter uns liegt der Golf von Lugano, gegenüber die italienische Seite des Luganer Sees und die Berge im Norden, auf dessen Kamm die Grenze zwischen dem Tessin und der italienischen Provinz Como verläuft. Ein absoluter Gänsehautmoment für mich. Das hier ist der Platz im Paradies. Ein hier postierter Helfer macht Fotos von uns. Bei Top-Wetter bietet der Gipfel ein Panorama, das bis nach Mailand, zum Monte Rosa in den Walliser Alpen und bis in die Berner Alpen und den Apennin reicht.

Aber es kommt noch besser. Der Wiesengrat führt uns auf der gegenüberliegenden Seite wieder runter von der Spitze. Ich habe fast das Gefühl, über dem See zu balancieren. Es ist nicht wirklich gefährlich, aber nur ungern möchte ich hier das Gleichgewicht verlieren. Links geht’s runter nach Italien, rechts in die Schweizer Seite des Luganer Sees. In der Mitte des Kamms bekomme ich von meinen neuen Freunden den Vier-Seen-Blick erklärt. Von Luganer See, Comer See und Lago Maggiore sind Teile auszumachen. Ja, einer fehlt, ich hab nicht alles richtig verstanden.

Technisch höchst anspruchsvoll, anfangs fast in Falllinie mit aufregendem Blick auf den See direkt unter uns, geht es wieder runter. Vor uns thront der San Salvatore, liebevoll auch der „Zuckerhut” der Schweiz genannt, es gibt unglaublich geile Ausblicke. Durch die steile Waldlandschaft gelangen wir in den höchstgelegenen Stadtteil von Lugano, ins Dorf Brè. Durch enge Gassen zwischen steinernen Häusern erreichen wir dort nach 40 Kilometern VP4. Ich fühle mich gut, für die restlichen 14 km sehe ich kein Problem und die Höchstschwierigkeiten sind auch durch. Zeit für mich, ein Schnäpschen auszupacken, um mit mir zu meinem 111. Marathon/Ultra-Finish anzustoßen. Hier gibt es natürlich auch eine Zeitbarriere, sie liegt bei 10 Stunden.

Nicht weit weg von unserer Station, nur einen kurzen Fußmarsch oberhalb Brè, liegt der Hausberg von Lugano, der Monte Brè. Wir kommen nicht bis zum Aussichtspunkt. Es heißt aber, er sei der sonnigste Berg der Schweiz. Und tatsächlich, hier ist es so warm, wie den ganzen Tag über noch nicht. Fast hochsommerlich. Die Standseilbahn Funicolare bringt seit 1912 Ausflügler auf den Berg. Durch die Bahn wurde das Dörfchen Brè erst erschlossen. Vorher war es nur über Maultierpfade erreichbar.

Von Brè führt unser Kurs in einer Schleife im Wald zurück zur Alpe Bolla am Fuße des Monte Boglia. Der Aufstieg ist nicht sonderlich spektakulär. Auf schmalen Wegen zieht er sich aber immerhin über fast drei Kilometer kontinuierlich nach oben, was meinen Freunden schon einmal ein „porco dio“ und „stronzo“ entlockt.

Dafür gönnen wir uns auf der Terrasse von Alpe Bolla ein Bierchen, nachdem wir uns für den Schlussakkord an der unmittelbar davorliegenden, offiziellen Labestation nochmals gestärkt haben. Über die Ortschaften Villa Luganese und Sonvico geht es zurück nach Tesserete. Überwiegend geht es bergab, aber nicht nur. Es sind auch immer wieder kürzere Anstiege zu bewältigen, die uns so langsam den Zahn ziehen. Sonvico liegt genau unter den Spitzen der Denti della Vecchia, den „Tessiner Dolomiten“. Die Jungs weisen mich mit Stolz darauf hin, dass wir heute da oben auch schon rumgeturnt sind.
An San Stefano vorbei geht es zur Dorfmitte und ins Ziel. Die Local Heros werden mit Champagner bespritzt, anschließend gibt es für jeden Finisher aus der direkt neben dem Zielbogen liegenden Kneipe ein Bierchen auf Kosten des Veranstalters, einen Teller Pasta gibt es gegen den erhaltenen Gutschein.

Welchen Spaß macht dieser Hammertrail! Leider ist er hier zu Ende. Grazie Samuel, Claudio e Kevin, è stato un piacere averti.

Mein Resümee:

Der Scenic Trail bietet eine spektakuläre, abwechslungsreiche und höchstanspruchsvolle Strecke mit atemberaubenden Aussichten. Die Trails sind aber nicht zu extrem und jederzeit gut zu meistern. Auf meiner Favoritenliste werde ich ihn ganz oben einordnen. Einen kleinen Wehrmutstropfen gibt es aber: Den Platz im Paradies sollten sich auf der/den Langstrecken nur Geübte erobern.

Für nächstes Jahr sind bereits Erweiterungen angekündigt, so wird es für die Hardcore-Fraktion ein 100 km Rennen mit 7500 Höhenmetern geben. Aber auch an Einsteiger wird gedacht. Für sie wird eine Strecke über 11 Kilometer und 800 hm hinzukommen. Da kann für den Zugang ins Paradies geübt werden.

  Schlammschlacht im Wald   An der Denti della Vecchia
Denti della Vecchia Grenzstein Bernie, Samuel, Claudio und Kevin
Sensationeller Ausblick unter dem Gipfel Abstieg vom Monte Boglia Abstieg vom Monte Boglia
Schnäppschen zum 111. Gemeinsames Bierchen Geschafft
 
Bernie
12:44:01

 
 
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