Mit einer Mischung aus Frust und Erleichterung begab ich mich zurück zu Auto und wir fuhren wieder nach Riva. Der Rest bis zum Start verlief dann recht reibungslos, noch schnell drei, vier Bananen rein und ich befand mich endlich im anfangs geschilderten Startbereich mit ca. 350 Mitläufern, von denen der Großteil aus Italien, bzw. der näheren Umgebung zu kommen schien, da gefühlt jeder den anderen kannte. Ein wenig irritiert war ich ob der Ausrüstung des Großteils meiner Mitstreiter. Wie so mancher die vorgeschriebenen Ausrüstungsgenestände wie Windjacke, Erste-Hilfe-Decke, Stirnlampe mit Ersatzbatterien, Ein-Liter-Trinkgefäß in seine doch recht überschaubare Bauchtasche bekommen hat, bleibt sein Geheimnis. Ich kam mir im Vergleich mit meinem Salomon Zwölf-Liter-Rucksack eher wie ein Packesel vor. Naja sind halt Verpackungskünstler die Italiener. Ach ja, kontrolliert wurde natürlich nicht.
Die ersten Kilometer ging es direkt am Gardasee Richtung Pregasina. Ich wollte die Anfangskilometer nutzen, um erst mal ein wenig Ruhe und Gelassenheit zu entwickeln, was mir auch erstaunlich gut gelang. Allerdings konnte ich mich der allgemeinen Dynamik um mich herum nicht ganz entziehen und der Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich mit einem 5:20-er Pace viel zu schnell unterwegs war und so zwang ich mich Tempo herauszunehmen und meinen anvisierten Pace von 6:20 in der Ebene zu suchen.
Nach ein paar Kilometern ging es dann zum ersten Mal bergauf Richtung Ledrosee. Kurz vor dem finalen Anstieg kam dann nach elf Kilometern die erste von sechs Verpflegungsstationen und ja was soll ich sagen, aller Vernunft zum Trotz hab ich erstmal richtig gut „gefrühstückt“. Hier ne Hand voll Nüsse, da a bissl Salami, Kuchen – gönn dir, und mal wieder Bananen und Orangen. Mit einem doch recht mulmigen Gefühl machte ich mich weiter auf den Weg, doch dieses blieb unbegründet – meine Fressattacke sollte ohne Folgen bleiben.
Der folgende Anstieg ließ erahnen, dass das hier und heute kein Spaziergang werden würde, allerdings fühlte ich mich mittlerweile richtig gut. Die Anfangsnervosität hatte sich gelegt und ich war endlich drin in meinem Rennen. Außerdem entschädigte die Aussicht auf den Ledrosee für die bis dato geleisteten Strapazen. Nun ja, ich redete mir das zumindest ein. Das Gelände wurde nun immer unwegsamer und der Wettbewerb machte seinem Begriff als Trail Run alle Ehre. Bei Cima Pan erreichte ich mit 1991 Metern den höchsten Punkt der Strecke. Nicht nur die Höhenmeter machten mir hier zu schaffen, sondern auch die durch die warmen Temperaturen einsetzende Schneeschmelze machte die Strecke äußerst unwegsam und größte Vorsicht war geboten. Lobenswert hervorzuheben ist an dieser Stelle der Einsatz der italienischen Bergwacht. Diese hatte mehrmals besonders gefährliche Stellen mit Seilen gesichert, was vor allem gegen Ende hin, als die Beine schon sehr schwer waren, eine unsagbare Erleichterung darstellten.
Nach einer weiteren Verpflegungsstation ging es dann für lange Zeit downhill. Und es wurde warm. Richtig warm. Eigentlich eher heiß. Als wir einen riesigen Olivenhain zu durchqueren hatten, sah ich mich meinem ersten Tiefpunkt entgegen. Die Oberschenkel brannten vom ständigen bergab Rennen, mir lief der Schweiß in Strömen herunter und das Schlimmste war die Tatsache, dass wir gerade mal bei Kilometer 28 waren. Nicht einmal die Hälfte und der Bub funktionierte nicht mehr nach Plan. Der Kopf war nicht mehr frei und Zweifel kamen auf.
Kilometer 30 war dann von enormer psychischer Bedeutung – die Hälfte war geschafft und auch der Weg war nicht mehr so steil bergab, endlich konnte ich‘s mal ein paar Kilometer einfachen laufen lassen. Der Kopf wurde wieder frei, die Oberschenkel entspannten sich und ich zählte die Kilometer bis zur nächsten Verpflegungsstation herunter, die sich bei Kilometer 40 befand und deren Erreichen wieder einmal einen steilen Anstieg voraussetzte. Dort angekommen, stellte ich zufrieden fest, dass ich sowohl physisch, als auch psychisch wieder voll da war. Ich trank in Ruhe, nahm ein paar Kalorien zu mir, schnaufte kurz durch und machte mich an die verbliebenen 20 Kilometer.
Immer häufiger zog ich nun an Mitstreitern vorbei, die aufgrund der Mittagshitze und/oder Überanstrengung den Weg nicht weiter fortsetzen konnten und am Wegesrand auf das Rote Kreuz warteten. Und ohne zynisch oder arrogant klingen zu wollen – nie würde ich einem Mitläufer einen Ausfall wünschen – aber ehrlich gestanden pushten mich diese Begegnungen enorm. Ich hatte weder Sodbrennen, Magenschmerzen, Unterzucker oder Muskelkrämpfe. Meine Anfangszweifel verschwanden immer mehr und je länger das Rennen ging, desto wohler fühlte ich mich. Und dann war er da. Kilometer 46. So weit war ich in meinem Leben noch nie zuvor gelaufen, geschweige denn so lang. Euphorie machte sich breit. Getragen von dieser Welle erreichte ich den letzten Verpflegungspunkt bei Kilometer 51. Ich aß nur schnell zwei, drei Orangenstücke und machte mich so dann auf den „Schlussspurt“.
Ich hätte auf meine innere Stimme hören und vielleicht doch noch was essen sollen. Denn irgendwie ließ mich das Gefühl nicht los, dass da noch was kommen sollte. Und so wars dann auch. Ein brutaler Anstieg, phasenweise mehrere hundert Meter bergauf, der Steilheit wegen nur auf den Zehenspitzen und gestützt auf meine Leki. Das war jetzt irgendwie gar nicht mehr so cool. Das Problem war, dass ich diese Passage nicht mehr auf dem Schirm hatte und ich mich mental eigentlich schon auf den Zieleinlauf vorbereitet hatte. Das einzig Gute daran war, dass sich die unzähligen Stunden Kreuzheben in meinem zweiten Wohnzimmer bezahlt machten und ich keine Probleme im unteren Rücken bekam, was mir schon so manchmal Probleme bereitet hatte.
An der letzten Erhöhung angekommen erklärte mir dann ein Italiener mit Händen und Füßen, dass es von nun an nur noch bergab ging, machte dabei allerdings immer so ne komische wellige Handbewegung und murmelte was von „pericoloso“… Es ging dann tatsächlich fast nur noch bergab. Allerdings sollte mein italienischer Mitläufer recht behalten. Die Trails waren teilweise so unwegsam, dass ich für den Kilometer downhill zum Teil über zehn Minuten brauchte. Immer wieder ging es über Schotterpisten, Wurzelstöcke und zum Teil loses Geröll. Noch einmal zwang ich mich zu höchster Konzentration, wollte ich doch so kurz vor dem Ziel auf keinen Fall mehr stürzen.
Und dann erschienen am Wegesrand endlich die erlösenden Schilder. Noch drei, noch zwei , noch ein Kilometer. Zieleinlauf durch die Altstadt Arcos, Schlussgerade, die Moderatorin rief meine Startnummer samt Namen, am Wegesrand konnte ich meinen Bruder sehen. Geschafft! Ich nahm meine Medaille entgegen und setzte mich mit meinem Bruder auf ein Bänkchen. Endlich sitzen nach 9:26 Stunden laufen. Rucksack runter, T-Shirt runter, Schuhe ausziehen und dann gabs endlich lecker Finisher-Peroni und weil‘s so gut war gleich noch eins. Die hab ich dann allerdings schon ziemlich gemerkt und war deswegen beim anschließenden Einkaufen mit meinem Bruder nicht so ganz auf der Höhe des Geschehens, aber was solls…
Mein Fazit zu meinem ersten Ultra fällt mit einigem zeitlichen Abstand eigentlich durch und durch positiv aus. Die Strecke war wunderschön, das Wetter phantastisch, vielleicht einen Tick zu warm und meine körperliche Verfassung während und nach dem Lauf eigentlich überaus passabel. Zudem haben das Outfit und Equipment überzeugt. Klar waren die Beine schwer und eine gewisse Müdigkeit, die auch die nächsten Tage noch anhalten sollte, vorhanden, aber das Gefühl etwas Großes geschafft zu haben, stellt all dies in den Schatten. Hab mir jetzt erstmal ne ruhigere Woche verschrieben, aber danach wird wieder angepackt, da der Trentino Trail, wenn auch mein erster Ultra, lediglich einen Testlauf darstellte für den ganz großen Traum dieses Jahr, den Zugspitz Ultra Trail mit 101 Kilometern und 5500 Höhenmetern. Nochmal eine ganz andere Herausforderung, aber ich habe mir hier am Trentino viel Zuversicht und Selbstvertrauen geholt. Ob ich‘s tatsächlich schaffen werde, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich mein Bestes geben werde. Mal schauen obs reichen wird.
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