Albrecht
Ludwig Berblinger war gerade 13, als sein Vater starb und er ins
Waisenhaus kam. Dort zwang man ihn, eine Schneiderlehre zu beginnen,
obwohl er gerne Uhrmacher geworden wäre. Mit 21 Jahren wurde
er Schneidermeister, aber sein eigentliches Interesse galt immer
der Mechanik. Neben seiner Tätigkeit als Schneider war er daher
auch als Erfinder tätig.
Er entwickelte orthopädische Hilfsmittel, wie z.B. Beinprothesen.
1808 entwickelte er eine „Fußmaschine“ die nach
Fußamputationen eingesetzt werden konnte, die erste Beinprothese
mit Gelenk. Seine bekannteste Erfindung ist ein Hängegleiter,
welcher ihm den Gleitflug ermöglichen sollte. Jahrelang baute
und verbesserte er seinen Flugapparat und beobachtete den Flug von
Eulen. Die Leute spotteten über ihn, trotzdem baute er weiterhin
an seinem Fluggerät.
König Friedrich von Württemberg zeigte Interesse und im
Mai 1811 besuchten der König mit seinen drei Söhnen und
dem bayrischen Kronprinz Ulm. Nun sollte Berblinger die Flugtauglichkeit
seines Gerätes beweisen. Am Abend des 30. Mai wollte er von
einem Holzgerüst auf der Adlerbastei starten. Der König
und viele Ulmer warteten auf seine erste Flugvorführung, doch
er machte einen Rückzieher mit der Begründung, die Windverhältnisse
seien ungeeignet.
Am folgenden Tag trat er erneut zu einem öffentlichen Flugversuch
an. Der König war schon abgereist, aber Herzog Heinrich und
die Prinzen schauten zu. Der Flug scheiterte, weil an diesem Tage
keine günstige Thermik bestand, die ihn hätte tragen können
und auch weil ihn vermutlich das Gejohle und Gelächter der
verständnislosen Menge verunsichert hatte. Angeblich stand
er minutenlang auf der Brüstung und wartete auf günstigen
Wind, bevor ihm ein Gendarm einen Stoß gab und er in die Donau
stürzte. Ob dem "Schneider von Ulm" jemals zuvor
schon ein erfolgreicher Flugversuch gelungen war, ist nicht bekannt.
Im Ulmer Rathaus kann man eine Kopie seines Fluggerätes besichtigen,
wir werden auf der Marathonstrecke seine Absprungstelle passieren.
Nachdem ich mich jetzt 3 Monate nur auf Bergstrecken herumgetrieben
habe, wird’s mal wieder Zeit für einen Flachmarathon.
Was liegt näher als mein Fast-Heimatmarathon in Ulm. Die Anfahrt
von der AB-Ausfahrt Ulm-Ost zum Messegelände wird am Morgen
exklusiv nur für Läufer und deren Fans frei gehalten.
Einen Kilometer vor der Zufahrt zu den Messehallen steht ein Ordner
und lässt sonst niemand Richtung Messeparkplatz abbiegen. Sollte
sich jetzt doch einer durchgeschmuggelt oder dem Ordner wiedersetzt
haben, der wird ein Stück weiter nochmals von einem Sheriff
kontrolliert, so haben wir freie Fahrt und die Anreise ist für
alle Läufer/innen sehr entspannt.
Bei mir an Bord ist wieder Jan, der mag aber heute nur beim HM ran,
weil er noch ein paar Zipperlein auskurieren will, die sich von
den vielen Läufen angesammelt haben die wir gemeinsam in den
letzten Wochen bestritten haben. Zudem war er noch letzten Sonntag
beim Koral-Marathon in Polen am Start. Aber ein Halber geht ja immer.
Von Team TOMJ sind heute noch Hans beim Marathon und Margot und
Greppi beim HM dabei, dazu noch Michi.
Der Ulmer Donauhalle ist wirklich eine hervorragende Lösung
für die komplette Startabwicklung. Es gibt genügend Parkplätze
für alle, im Nu sind die Startunterlagen empfangen, die Kleiderabgabe
in LKWs befindet sich ebenfalls hier und man kann sich bei frischeren
Morgen-Temperaturen wie heute noch bis kurz vor dem Start in den
angenehm temperierten Messehallen aufhalten. Überschüssige
Zeit kann man zudem an den vielen Ständen mit teilweise tollen
Angeboten abfeiern. Ich wäre schon wieder fündig geworden,
der ultraleichte gelbe Laufschuh meiner favorisierten Marke war
um 42,195 % heruntergesetzt, aber leider nicht mehr in meiner Größe
vorrätig.
Das Angebot an unterschiedlichen Distanzen ist im Rahmen des Einstein
Marathons auch äußerst vielfältig, ich erspare es
mir aber alle aufzuzählen. Insgesamt gab es aber mit rund 14.500
vorangemeldeten Läufern eine neue Rekordbeteiligung. Beim Marathon
lag die Zahl bei 936, was zu den 1.062 vom Vorjahr wieder eine Schrumpfung
bedeutet. Die Boomzeiten beim Marathon sind wohl endgültig
vorbei, was an mir ja nicht liegen kann, ich hab jetzt schon ein
Drittel mehr als im gesamten Vorjahr, bei einem heutigen Finish
hätte ich das Dutzend an Maras/Ultras voll. Aber auch die Zahlen
beim Halbmarathon sind heuer leicht rückläufig, 4.676
zu 4.978 Letztjährige. Die Steigerungsraten konnten vor allem
bei den Jugendläufen erzielt werden, was ja wiederum durchaus
Hoffnung macht.
Vor dem Starttor unterhält uns in gewohnter souveräner
Art und Weise Speaker Arthur Schmidt. Er kennt die Laufszene wie
kaum ein anderer. Wir sind uns auf diversen Marathons auch schon
das eine und andere mal über den Weg gelaufen, so darf ich
auch am Micro kurz meinen Senf abgeben. Natürlich wird für
m4y kräftig Werbung gemacht und versprochen dass meine Bildergalerie
Montagmorgen online sein wird. Etwas später hat er noch einen
Offiziellen des Augsburger Friedensmarathon am Mikrofon. Zu 99 %
ist die Veranstaltung in trockenen Tüchern. Das bedeutet natürlich
für mich 2011 erstmals einen richtigen Heimmarathon laufen
zu können. Also alle den Termin vormerken: Friedensmarathon
Augsburg 7. August 2011!
Wie schon im Vorjahr wird uns der Start höllisch eingeläutet
mit Hells Bells von AC/DC. Pünktlich 9 Uhr werden wir auf die
4 km lange Gerade der Thalfinger Uferstraße geschickt. Die
Sonne wärmt uns trotz der mickrigen 5 Grad schon angenehm auf.
Außer meine Fingerchen, die werden bei Schneckentempo nicht
so schnell warm. Da mir aber viele Bilder wieder wichtiger als die
Zeit sind, benötige ich natürlich meine dünnen Handschuhe.
Die kalte Metallkamera in der Hand verstärkt das Kältegefühl
immer noch.
Nach einem Kilometer erreichen wir die Donau, ein Stückchen
später kann ich am Ufer einige „Ulmer Schachteln“
erspähen. Ich denke jetzt natürlich nicht an Damen älteren
Semesters, sondern an die originalgetreu nachgebauten Schiffe, die
früher Donauabwärts ihre Handelsgüter beförderten.
Aber was ist da los, skandalös?
In den Nachrichten war unter der Woche schon der Teufel los weil
ein eventueller Nahverkehrstreik in München während der
Wiesn angedroht war. Hier scheinen heute die Kapitäne der „Ulmer
Schachteln“ im Donaustreik zu sein, in den letzten Jahren
pendelten sie immer neben uns auf der Strecke und unterhielten uns
teilweise mit uriger Blasmusik, heute schaukeln die Zillen teilnahmslos
im Wasser.
In Obertalfingen (km 4) treffe ich wieder alte Bekannte vom Vorjahr,
der Stammtisch vom Weißwurstäquator (wir sind hier ein
paar Meter über der Grenze in Bayern) ist wieder traditionell
beim Frühschoppen. Im Gegensatz zum letzten Jahr, sind heuer
die Würste aber schon alle. „Du bist letztes Jahr einfach
schneller gelaufen“, meinen sie. Am Kreisverkehr, ein Stück
weiter ist die halbe Ortschaft vertreten und feuert uns an. Danach
geht’s über die Donaubrücke und in die entgegengesetzte
Richtung zurück. Die erste Wasserstelle erreichen wir nach
5 km.
Der weitere Weg führt über schmale Landstrassen nach Pfuhl
(km 8), gleich nach der 2. Getränkestation müssen wir
die Zeitmessmatten überqueren. Viele Einwohner sind vor ihren
Gärten versammelt um zu applaudieren oder andere haben sich
es bei einem Picknick gemütlich gemacht und eine Blaskapelle
sorgt für Unterhaltung. Ein Fläschchen Sekt kann ich auch
ausmachen, hier in der Sonne lässt es sich aber auch wirklich
gut aushalten. Es erinnert mich schon fast ein wenig an den Hamburg
Marathon vom Frühjahr. Da hat man mir freilich gleich einen
Schluck angeboten.
Wie im Vorjahr gibt es auch wieder eine Unicef-Fanmeile mit Motivationsschildchen.
Die Erlöse der freiwilligen Spenden werden an das Projekt „Schulen
für Afrika“ übergeben. Nach 12 Kilometern erreichen
wir die breite Augsburger Straße in Neu-Ulm und einen Kilometer
weiter setzen wir über die Gänstorbrücke nach Ulm
und damit wieder nach Baden-Württemberg über. Hier stehen
auch Siggi und Silvia und machen Fotos, letztere wäre aber
lieber mit dabei, aber ein nicht liebgewonnener Fersensporn verhindert
das.
Musikalisch begrüßt werden wir in BW von Most Criminal
auf dem Highway to Hell, leider sind sie gerade damit fertig als
ich an ihrer Bühne eintreffe und liebend gerne etwas mitgerockt
hätte. In auffälligen pinkfarbenen Kompressionsstrümpfen
und Shirt läuft vor mir Michaela Staudener, was mir aber noch
viel mehr ins Auge sticht ist ihr großes Tatoo mit Totenschädel
am Oberarm. Nach meiner Fotosession-Anfrage frägt sie mich
auch gleich: „Und wie gefällt es dir?“. Hmmm...
„Furchterregend“, zumindest für mich die Vorstellung,
sich als junges Mädchen mit so einem „Kunstwerk“
das ganze Leben „schmücken“ zu müssen, nur
weil es derzeit vielleicht „in“ ist.
Eine anderthalb Kilometer lange Altstadtrunde führt uns zur
Brücke zurück und wieder darüber. Sehr schön
kann man hier den Gegenverkehr, mit den zuerst vor und beim Rückweg
hinter einem liegenden beobachten. Mir kommt gerade Margot entgegen.
Geradeaus geht es weiter bis zu einer Wendepunktmarke. Nach dem
U-Turn geht es erneut zurück bis zur Gänstorbrücke,
aber diesmal biegen wir vorher links ab und laufen einen Kilometer
auf Neu-Ulmer-Seite am Donauufer bis zur Donauinsel entlang. Dort
steht schon die nächste Brückenüberquerung an, über
die Herdbrücke wechseln wir wieder nach Ulm.
Auf der kurzen Innenstadtrunde passieren wir den Stimmungsmagnet.
Einige Bands und Cheerleadergruppen der insgesamt 30 Event-Stationen
sind hier postiert. Die Show der Vortänzerin der Beo Beo Samba-Musik
gegenüber der Kunsthalle, bietet sich für einen lohnenden
Foto-Stopp an. Danach geht es nach links am Rathaus vorbei mit seiner
auffälligen und wunderschönen Außenbemalung aus
der Frührenaissance. Dicht an dicht drücken sich die Zuschauer
an den Seiten. Und schon geht’s wieder über die Herdbrücke
zurück auf die andere Donauseite zu einer Neu-Ulmer-Stadt-Schleife.
Km 18 – 19 führen am Jahnufer entlang, hier sind wieder
einige der Unicef-Motivationsschilder aufgestellt. „Auf geht’s,
Ulmer Flitzer“ kann ich gleich auf einem der ersten lesen,
das entleihe ich mir heute für meine Headline, so wie es letzte
Woche schon Anton gemacht hat. Die Interaktivität von Seiten
der Fans macht ja vielleicht bald Schule und es bieten sich bald
noch öfters Sprüche für unsere Titel an.
Und wie könnte es anders sein, wir wechseln wieder auf die
Ulmer Seite der Donau, aber jetzt für längere Zeit das
letzte Mal. Bis zu einem Wendepunkt bei km 23 führt die Strecke
nur mehr in eine Richtung. Am Donauufer geht es größtenteils
an der Stadtmauer entlang, die 1482 als Bollwerk gegen feindliche
Armeen errichtet wurde. Zwischendrin verabschieden sich die Halbmarathonis
zu ihrem Zieleinlauf.
Fast auf Höhe unseres Startplatzes wird kehrt gemacht und zurück
gelaufen. Richtig angenehme Temperaturen machen das Laufen heute
zu einem wahren Vergnügen, nicht zu kalt und nicht zu warm
und Sonne pur. Kurz nach km 25 erreichen wir die Adlerbastei, sie
hat geschichtsträchtige Bedeutung, denn es ist die Absprungsstelle
des „Schneiders von Ulm“, den ich in den Anfangszeilen
beschrieben habe und der hier im Jahre 1811 seinen Flugversuch über
die Donau wagte.
Ich muss erst bei einem ortskundigen Läufer nachfragen wo denn
die Stelle ist. Zufällig sind wir genau 100 Meter davor und
dann sehe ich auch schon das Schild. Beim Herweg habe ich es noch
übersehen, aber Flußaufwärts fällt einem diese
eher unscheinbare Stelle auch besser ins Auge.
Ein kurzer, nur wenige hundert Meter langer Loop führt uns
durch den Metzgerturm in die Innenstadt, wieder am Rathaus vorbei
und zurück auf einen Weg über die alte Backsteinmauer.
Der Metzgerturm wurde 1349 als Teil der Ulmer Stadtbefestigung erbaut
und wird auch als der „Schiefe Turm von Ulm“ bezeichnet.
Er hat eine Höhe von über 36 Metern und neigt sich 2,05
Meter nach Nordwesten.
Das ist zwar nicht so stark wie sein großer Bruder in Pisa
(dieser neigt sich um 3,9°, der Ulmer um 3,3°), dennoch
aber ganz stattlich. Rechts unter uns liegt das Fischerviertel,
eines der ältesten Siedlungsgebiete innerhalb der Stadtgrenzen.
Mit seinen alten Häusern und Gassen, verwinkelten Durchgängen,
Brücken und Stegen, vermittelt es fast einen Eindruck mittelalterlichen
Lebens.
Nach links kann man unten noch Läufer und die Donau beobachten,
das war es dann vorerst mit Trubel und Heiterkeit. Jetzt beginnt
der ruhigere Teil des Kurses, schon alleine weil sich nur mehr Marathonis
auf dem nachfolgenden Abschnitt befinden. Ein Spazier- und Radweg
führt uns weiter an der Donau entlang bis zum Donaukraftwerk
(km 30). Vorher wechseln wir aber wieder die Uferseite.
Bei km 35 erreichen wir Kloster Wiblingen, eine ehemalige Benediktinerabtei
von 1093. Nachdem wir es umrundet haben führt der Weg in den
riesigen Innenhof, wo eine große Verpflegungsstation mit üppigem
Angebot aufgebaut ist.
Apropos VP-Stationen. Hier gibt es auf der kompletten Strecke keinen
Mangel, vom Gefühl her kommt’s mir vor, dass wir mindestens
jeden zweiten Kilometer (ab km 10) versorgt werden. Vielleicht sind
die Abstände tatsächlich etwas größer, aber
an Hunger und Durst braucht keiner leiden. Alles hätte auch
locker für wesentlich mehr Sportler und höhere Temperaturen
gereicht.
Die Donau haben wir seit einigen Kilometern hinter uns gelassen,
kurz nach km 36 sind wir wieder am Fluss, diesmal aber an der Iller,
wo wir ihren Lauf auf einem Kiesweg folgen dürfen. Zwei Kilometer
weiter vereint sie sich mit der Donau. Bei km 41 steht die 9. und
letzte Flussüberquerung für heute an, im Anschluss führt
der Weg noch 500 Meter neben der Bahn entlang bevor es endgültig
Richtung Zieleinlauf auf dem Münsterplatz geht.
Hier werden auch wir Marathonnachzügler noch von vielen Menschen
empfangen. Das liegt jetzt zwar nicht unbedingt an uns, sondern
ist jetzt eher der Tatsache geschuldet, dass auch gerade die Ersten
des 5 km Gesundheits- und 10 km Citylaufs hier eintreffen, ist aber
trotzdem eine tolle Sache. So haben auch wir noch unser Publikum.
Nachdem ich mir mein verdientes Siegerbierchen abgeholt habe, wäre
auch ein Sitzplatz zum verschnaufen eine feine Sache. Unschwer erkennbar
an den vierstelligen Startnummern, sind die zur Verfügung stehenden
aber ausnahmslos von den Kurzstrecklern besetzt. So bleibt mir zum
schlürfen meiner Hopfenmedizin nur der harte Teerboden übrig,
was bei dem herrlichen Wetter aber auch kein Problem ist.
Die Ulmer können wirklich stolz auf ihre Veranstaltung sein,
für mich gibt’s nix zu verbessern. Vor allem die Mischung
aus Stadt – Land – Fluss gefällt mir ausnehmend
gut. Höchstens die Berge würden mir noch fehlen, da kenne
ich aber auch welche, die mir da nicht zustimmen würden. Womit
ich noch zu den Höhenmetern überleiten will. Bis auf einen
Anstieg nach dem Metzgerturm in die Altstadt ist der Kurs gefühlsmäßig
vollkommen eben. Trotzdem sind immerhin 100 Höhenmeter zusammen
gekommen.
Einen kleinen, oder vielleicht schon mittelgroßen Wermutstropfen
gibt es aber doch noch. Nur mehr 658 Marathonfinisher sind letztendlich
im Ziel, gegenüber 894 vom Vorjahr, das haben die Ulmer nicht
verdient. Will sich den keiner mehr plagen?
Den Abschluss feiern wir im „marathoncafe“ von Ulm.
Ja, so was gibt’s hier tatsächlich auch, liegt ein paar
Meter hinter dem Münsterplatz, wo es etwas ruhiger ist. |