Der
Silvretta-Ferwall-Marathon/Marsch wird bereits zum 37. Mal durchgeführt.
Dass es hier in der Paznaun-Region phantastische Skigebiete gibt,
weiß jeder. Dass aber auch im Sommer was geboten ist und es
diesen Bergmarathon gibt, scheint sich unter Läuferkreisen
noch nicht allzu weit herumgesprochen haben.
Vor dem Lauf will ich aber noch für geographische Aufklärung
sorgen. Silvretta nennt sich eine Gebirgsgruppe
in den Zentralalpen der Ostalpen. Anteil haben Österreich und
die Schweiz. Die Verwallgruppe (ehemals Ferwall)
ist eine Untergruppe der österreichischen Zentralalpen und
befindet sich in den Bundesländern Vorarlberg und Tirol. Das
Paznaun ist das Tal des Flusses Trisanna in welchem
sich auch Galtür befindet.
Im Tourismuszentrum von Galtür am Dorfplatz kann man am Samstag
und Sonntag seine Startnummer und Chip empfangen oder sich noch
nachmelden. Bequem könnte ich am Schalter des Startbüros
ein längeres Schwätzchen halten, nur spärlich tröpfelt
mal hin und wieder einer ein. Gerade mal 67 Läufer werden morgen
an den Start der „Königin-Strecke“ gehen. Die Hochgebirgsstrecke
wurde 1995 von 38 km auf 42,3 km verlängert und ist seitdem
ein Bergmarathon. 2005 musste wegen Alpenhochwasser abgesagt werden.
Dazu gibt es noch einen Halbmarathon, für den 33 Sportler gemeldet
sind und Wanderer die den Silvretta-Ferwall-Marsch in drei verschiedenen
Streckenlängen in Angriff nehmen können. An den Kosten
kann die Zurückhaltung nicht liegen, gerade mal 20 € sind
für den Marathon zu berappen.
Heute am Samstag ist es ungemütlich und nasskalt, die mächtigen
Gipfel des Paznauntals liegen fast allesamt unter dichten Wolken
verborgen. Insgesamt gibt es in der ganzen Silvrettagruppe 74 Dreitausender.
Nicht ganz der höchste, aber mit Sicherheit der bekannteste
ist der Piz Buin mit 3.312 m. Gegen die Verwendung des gleichnamigen
Sonnenschutzmittels hätte ich morgen auch nichts. Die „Ochsenspitze“,
was sein rätoromanischer Name übersetzt bedeutet, wird
in der Silvretta an Höhe nur noch von der riesigen Pyramide
des Piz Linard (3.410 m) und vom Fluchthorn (3.399 m) übertroffen.
Trotz des grausligen Wetters lasse ich mir einen kleinen Spaziergang
nicht nehmen, mich interessiert natürlich in erster Linie die
neu entstandene Schutzwand. Vom Flüsschen Trisanna aus kann
man sich den Lawinenschutzdamm außerhalb der Ortschaft anschauen.
Heute steht an der Einschlagstelle das Alpinarum, dessen Bau bereits
ein halbes Jahr nach der Lawinen-Katastrophe begonnen wurde. Das
Gebäude ist selbst Teil des Schutzdammes und bietet Raum für
das Dokumentationszentrum mit diversen Ausstellungen, ein Zivilschutz-zentrum,
Tiefgarage und einer Indoor- und Outdoor-Kletterwand. 7000 Kubikmeter
Beton und 800 Tonnen Stahl wurden auf einer Länge von 345 Metern
mit bis zu 20 Meter Höhe verarbeitet um Schutz vor einer erneuten
Lawine zu bieten. Sehr schön ist sie meines Erachtens in die
Landschaft integriert worden. Zudem flossen noch einige Euros der
Schutzmaßnahmen in Bergverbauungen und Aufforstung.
Die Startzeit für die Läufer des Marathons ist um 7 Uhr,
die Wanderer, die ebenfalls die „Königinstrecke“
zurücklegen wollen, können dies innerhalb eines Zeitraums
eigenmächtig von 7.00 bis 11.00 Uhr selbst bestimmen. Einen
Favoriten habe ich mit Helmut Schiessl auch schon ausgemacht, in
seinen dünnen Laufklamotten wärmt er sich noch im Eingansbereich
des Tourismus-Büros auf. Den Startplatz selbst muss ich etwas
suchen, ich finde ihn auf der gegenüberliegenden Straßenseite
des Dorfplatzes mit einem relativ kleinen Banner gekennzeichnet.
10 Min. vor dem Start wird eine alte Kanone angerollt und die meisten
versammeln sich jetzt auch davor. Der Wetterbericht hat recht gehabt,
es ist zwar noch etwas frisch zur frühen Stunde, aber immerhin
trocken und einige Wolkenlöcher sind auch schon auszumachen.
Bis zu 11 Grad und später auch richtig Sonne soll uns heute
noch geboten werden.
Der Böller aus dem alten Geschütz fährt mir in Mark
und Bein und schon geht’s los. An der Sportanlage vorbei geht
es nach links sanft ansteigend an der Trisanna entlang bis zum Ortsteil
Wirl mit wunderschönem, ungetrübten Blick auf die vor
uns liegende 2.670 m hohe Ballunspitze. Auf 9 Bahnen/Liftanlagen
kann man sich an dem steil in den Himmel ragenden Felshorn im Winter
vergnügen, jetzt im Sommer wäre der Klettersteig "Silvapark"
eine Möglichkeit für ein spannendes Outdoor-Abenteuer.
Ab Höhe Wirl legt die Steigung einen Zahn zu und mir wird es
trotz niedriger Temperaturen bereits angenehm warm. Unterhalb der
Passhöhe Zeinisjoch laufen wir am Kops-Stausee vorbei, an dessen
Ende liegt nach 6 km am dortigen Gasthof unsere erste gut ausgestattete
Verpflegungsstelle. Die Wanderer müssen sich hier ihren Stempel
abholen, von uns wird zur Kontrolle die Startnummer notiert.
Als sehr angenehm empfinde ich das Auftanken, die Getränke
sind wunderbar vorgewärmt. Etwas links ist ein langer Tisch
mit Essbarem aufgebaut. Bananen, Süßigkeiten, Käsesemmeln
und Würste werden angeboten. Sollte es jemand am Magen haben,
für den gibt’s ein Stamperl mit Hochprozentigem. Der
feine Marillen-Hausschnaps ist aber noch jungfräulich und wird
wohl eher noch auf ein paar Wanderer warten müssen, die Läufer
haben ihn allesamt verschmäht.
Unser weiterer Kurs führt uns in einem weiten Bogen ansteigend
um das Zeinisjoch herum. Mein Blick gleitet in die Ferne auf den
schneebedeckten Gipfel des Gr. Litzner und den darunter liegenden
Vermunt Stausee. Direkt an ihm, von hier aber nicht einsehbar, führt
die Silvretta Hochalpenstraße vorbei, eine der schönsten
Gebirgsstraßen der Alpen überhaupt. Mit ihren vielen
Kurven und Kehren ist sie vor allem bei Bikern beliebt. Die Anreise
nach Galtür kann ich im Übrigen von Deutschland aus über
Bodensee, dem Montafon und über die 24,5 km lange Hochalpenstraße
nur wärmstens empfehlen. Sie kostet zwar 11,50 € Benutzungsgebühr,
dafür bin ich aber Stau- und Stressfrei und auch sehr zügig
bis ans Ziel gelangt. Bei der auch möglichen Anfahrt über
den Fernpass konnte ich im Verkehrsfunk gestern doch von einigen
Störungen hören.
Nach 450 absolvierten Höhenmetern geht es bis zur Verbella
Alpe wieder für fast anderthalb Kilometer am Verbellabach entlang
leicht bergab. An der Hütte wühlt ein Glücksschwein
im Boden. Ja, was haben wir heute für ein Wetterglück,
gar nicht vorzustellen hätten wir gestern hier hoch müssen.
Schon seit Wirl habe ich mich mit Franz Eckl und Harald Baur zusammengeschlossen,
ich brauche nach dem Ultra Trail vor einer Woche ein etwas ruhigeres
Tempo und bin so am hinteren Feld nicht ganz alleine in der Alpinwelt
unterwegs. Franz macht heute seinen ersten Marathon. Nachdem er
noch im Vorjahr als Erster in der Wanderklasse im Ziel war, hat
er heute den Ehrgeiz, unter 6 Stunden zu bleiben.
Ab Verbella Alpe nimmt die Steilheit spürbar zu. Bis zur Heilbronner
Hütte hinauf sind auf den folgenden 3,5 Kilometern weitere
380 HM zu erarbeiten. Unsere zweite Labestation haben wir auf dem
Abschnitt fast immer im Visier. Unterhalb der Hütte hat man
einen sagenhaften Blick über die Scheidseen, grobe Richtung
St. Anton am Arlberg. Mich erinnert dieser Ausblick an einen norwegisches
Fjord.
Auf 2.320 m steht die Heilbronner Hütte - heute beginnt hier
die Schneegrenze. In der Nacht hat es bis auf diese Höhe herunter
leicht geschneit. Das Thermometer zeigt noch genau 1 Grad plus an.
Ich bin froh, anständig gekleidet zu sein, in meinem Rucksack
hätte ich sogar noch ein Jacke und eine warme Mütze. Ohne
Handschuhe gehe ich bei solchen Temperaturen eh nicht aus dem Haus.
Ohne warme Finger gibt’s sonst keine gscheiten Fotos. Am Donnerstag
herrschten hier oben noch 30 Grad, erzählt uns einer der Bergwacht.
Nach der Hütte beginnt der alpine Teil unserer Route. Nach
einem steilen Anstieg überqueren wir hinter dem nordöstlichen
Jöchligrat ein kleines Plateau. Geleitet von Steinmännchen
mit atemberaubender Aussicht auf das vor uns liegende Massiv führt
der Weg hinab ins Ochsental. Der Hochgebirgstrail über und
durch die leicht überzuckerten Biotitschieferplatten ist für
mich heute ein absoluter Höhepunkt. Es geht an einem kleinen
See vorbei, ich bin nur mehr am fotografieren vor Begeisterung.
Man möchte eigentlich verweilen und sich nur noch satt sehen.
Zu unserer Gruppe stößt auch immer wieder der Michael
Dorfstätter aus Mödling bei Wien. Der „Dorfi“
ist heute zum ersten Mal auf einem Bergmarathon, dementsprechend
vorsichtig geht er das als ausgesprochener Flachländer auch
an. Seitlich am Hang steigen wir runter in eine kleine Schlucht.
Über Schottersteine können wir gerade noch trockenen Fußes
die Rosanna überqueren, die etwas weiter oben in den Verwall-Bergen
entspringt.
Die Bergwacht sitzt nicht weit davon entfernt und überwacht
unsere Turnerei. Auch auf dem gesamten Abschnitt hierüber von
der Heilbronner Hütte wird die Sektion in überschaubaren
Abständen von der Bergrettung vorbildlich kontrolliert. Unmittelbar
nach der Flussüberquerung folgt ein 263 Höhenmeter-Extremanstieg
auf einem schotterigen und glatten Weg zum Muttenjoch hinauf. Der
Wind bläst uns spürbar eisige Luft entgegen, ich zieh
mir daraufhin mein Piratentuch über die Ohren und gleich ist
es erträglicher.
Alles vergessen macht aber der Blick hinüber zum schneebedeckten
Grottenkopf, runter ins Tal zu türkisblau schimmernden kleinen
Gebirgsseen und überhaupt, es ist einfach spektakulär
und grandios. Der höchste Punkt der Strecke liegt unterhalb
der Gaisspitze am Muttenjoch auf 2.620 m, womit der Silvretta-Ferwall-Marathon
in den Alpen nur noch vom Graubünden-Marathon und dem Swiss
Alpine Marathon in Davos übertroffen wird. Aber es pfeift empfindlich
kalt hier oben, eine besonders gastliche Stelle ist dieser dritte
Versorgungspunkt nicht. Plusgrade werden wohl kaum erreicht werden,
der Wind-Chill-Faktor ist noch deutlich höher. Mit den Herren
der Bergwacht, die diesen VP betreuen, möchte ich in keinen
Fall tauschen und spreche für ihr Ausharren großes Lob
aus.
Was folgt ist der ca. 7 km lange Ablauf hinunter ins Paznaun. Nach
3 km erreichen wir die Friedrichshafener Hütte auf 2.150 m
(km 22). Im Windschatten der Hütte ist Kontrollstelle 4 und
eine Jausenstation eingerichtet. Meine erste Aufmerksamkeit widme
ich den deftigen Cabanossi-Würsten und Käsesemmeln, man
könnte sich fast fühlen wie am Rennsteig. Nach einer ersten
Sättigung fällt mein Blick auf einen dampfenden Kessel
mit Kamin im Hintergrund. Ich lasse mir einen Becher einer heißen,
frisch vor Ort zubereiteten Minestrone-Suppe mit reichlich Nudelstücken
überreichen. Ahh, für diese Speise lasse ich mir gerne
noch etwas Zeit und nehme auf einer Bierbank platz. Ich hab drei
Wörter für diesen Hochgenuss übrig: delikat, unübertroffen,
sensationell. Diese Suppe alleine war den ganzen Weg hierher schon
wert. Dafür gibt es von mir eine Eins mit Stern.
Nach der Hütte verläuft der weitere Weg erst noch ein
Stück querfeldein über den Hang, aber schon bald stoßen
wir auf eine Fahrstraße die uns in Serpentinen ins Tal führt.
Bergablauffans werden hier ihre wahre Freude haben und auch mir
gefällt es vorzüglich. Nicht allzu steil, auf relativ
ebenen Untergrund kann man es hier so richtig krachen lassen. Direkt
nach überqueren der Paznaunstraße kann wieder verpflegt
werden. Über die Trisanna geht der Weg jetzt auf der anderen
Seite des Tals in den Maißwald hinein. Zwei Drittel der Strecke
sind geschafft. Das letzte Drittel legen wir am Nordrand der Silvretta-Gruppe zurück.
Durch den hohen Wald geht es an tiefen Schluchten mit tosenden Wasserfällen
vorbei hinauf zur Lareinalpe, wobei weitere 330 Höhenmeter
bewältigt werden. Die Halbmarathonläufer, die um 11 Uhr
gestartet sind, kommen so nach und nach von hinten und beleben unsere
Strecke. Die letzte VP ist an der Lareinalpe (km 35) aufgebaut und
die hat es in sich. Zum Verköstigen ist wieder alles und reichlich
vorhanden was das Herz begehrt. Der Stationsmeister hat einen Kessel
mit frischen Tee, mit richtig fruchtigen Inhalt gebrüht. Dann
sehe ich noch ganz unbeteiligt eine Flasche „Kalterer See“
rumstehen. Die Hälfte meines Bechers mit Tee wird mir dem Traubensaft
verfeinert und weil’s so lecker geschmeckt hat, schnorre ich
mir noch einen weiteren Mix des edlen Getränkes. Franz schließt
sich mir sofort an.
Genau zur Mittagszeit sind wir mit unserer Stärkung fertig.
Für die letzten ca. 7,5 km müssen wir uns aber noch etwas
sputen, um unter 6 Std. zu bleiben, da es auch noch bergauf geht.
Auf dem Galtürer Höhenweg unterhalb des Predigtberg laufen
wir auf einem welligen Singletrail, aber überwiegend leicht
abfallend am Hang entlang ins Jamtal. Immer wieder bekommen wir
eine herrliche Aussicht ins 300 m tiefer gelegene Tal geboten. An
der Eggalm gibt es die letzte Richtungsänderung, von hier führt
der Kurs nur mehr bergab nach Galtür zurück.
Der 100 m lange Zieleinlauf über eine Wiese führt uns
bei mittlerweile angenehmen Temperaturen im zweistelligen Bereich
ins Sport- und Kulturzentrum. Der Leihchip wird uns von Kindern
sofort vom Fuß genommen und ein Getränk überreicht.
In der Sporthalle kann die verdiente Siegermedaille abgeholt werden.
Franz hat sein Ziel erreicht, die 5 steht! Ich habe meines ebenso
erreicht, leichte Muskelprobleme vom Ultra Trail vor einer Woche
konnte ich durch defensive Laufweise in Grenzen halten.
Vom Wetter her darf ich mich heute auch als „Hans im Glück“
bezeichnen. Am Donnerstag herrschten 30 Grad, gestern hat es nur
geregnet und von den Bergen war nichts zu sehen und Montag und Dienstag
soll es schneien, bis runter in den Ort.
Insgesamt waren es 1.634 Höhenmeter auf einer super abwechslungsreichen
Strecke. Der Sieger Helmut Schiessl hat sie fast in der Hälfte
der Zeit zurückgelegt.
Was bleibt ist für mich die Frage, warum dieser herrliche Marathon
in grandioser Umgebung, dazu mit best ausgestatteten Verpflegungsstellen
nicht mehr Zuspruch seitens der Laufbegeisterten erhält? Mir
ist es unerklärlich. Vielleicht können meine Bilder für
etwas Belebung sorgen, ich würde es dem Veranstalter, dem Skiclub
Galtür und den vielen einheimischen, ehrenamtlichen Helfern
von ganzen Herzen wünschen. Und auch uns Sportlern, damit solch
ein Prachtexemplar dem Marathonkalender noch viele Jahre erhalten
bleibt.
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