Heimspiel
im Schwabenland Heute hab ich Heimspiel im Schwabenland, nicht ganz, aber fast,
es geht nach Ulm ins Schwäbische Baden-Württemberg. Der
Begriff Schwaben wird fälschlicherweise oft mit dem historischen
Territorium Württemberg oder dem gesamten Bundesland Baden-Württemberg
gleich gesetzt. Innerhalb von Baden-Württemberg bewohnen die
Schwaben vor allem einen Großteil des ehemaligen Landes Württemberg.
In Bayern gibt es aber auch Schwaben und wir sind dort im Regierungsbezirk
Schwaben zu finden. Hoschas kapiert, würde jetzt der Bayerische
Schwabe sagen. Ulm/BW und Neu-Ulm/BAY teilen sich den Marathon und
auch die Strecke, die Trennung der beiden Städte/Bundesländer
nimmt die Donau vor, ein Teil der Marathonstrecke liegt somit auch
auf der Bayerischen Seite.
Die Anfahrt über die A8 dauert für mich eine gute Stunde,
natürlich nur Dank der frühen Morgenstunde, etwas später
hätte ich gute Chancen, geraume Zeit im Stau zu verbringen.
Parkplatzprobleme gibt’s am Ulmer Messegelände keine
und ruckzuck sind auch die Startunterlagen, samt T-Shirt empfangen.
Da jetzt alles so schnell erledigt ist und auch der Start direkt
vor den Hallen statt findet, kann ich noch fast für ein Stündchen
Augenpflege in meinem Auto betreiben.
Um 8.30 Uhr treibt’s mich wieder raus. Mein erster Weg führt
zum Kleidertransport, wo mir auch schon Anton über den Weg
läuft, er steuert noch einen zweiten Bericht bei. Da der Zieleinlauf
in der Ulmer Innenstadt vor dem Münster statt findet, ist es
schon angebracht frische Wechselkleidung nach dem Lauf parat zu
haben. In und vor den Messehallen haben sich bereits kleinere und
auch größere Teams zum Fototermin eingefunden. Da haben
wohl einige Firmen einiges an Mitarbeitern aktiviert und aufgeboten.
Am Startbogen moderiert ein lokaler Radiosprecher abwechselnd mit
Arthur Schmidt, wer sich öfters mal auf Laufveranstaltungen
rumtreibt, dem wird er kein Unbekannter sein. Er weiß wirklich
fast über jeden was zu erzählen. Mehrere prominente Läufer/innen
interviewed er unter dem Startbogen. Fünf Minuten vor dem Start
begrüßt er die frühere 10.000 Meter Weltrekordlerin
Olga Bondarenko aus Russland. Sie möchte auch am Lauf teilnehmen,
aber sie hat keinen Chip am Schuh. Engagiert versucht er noch über
Mikrofon einen auf die Schnelle auf zu treiben, ob das noch geklappt
hat, hab ich aber nicht mehr mitbekommen, weil es kurz darauf losgeht.
Erstmal noch wird die Nationalhymne gespielt …für Hardrocker,
Hell’s Bells von AC/DC. Ja, das hämmert gleich richtig
rein, besser als jede Aufwärmgymnastik.
Wettermäßig ist es ziemlich grau am Himmel, aber die
Temperaturen sind angenehm. Um Punkt 9 Uhr geht’s los. Fast
6.000 Sportler stehen in der Startaufstellung, davon ca. 900 für
den Marathon. Erstmal geht es auf der Thalfinger Uferstraße
stadtauswärts an der Donau entlang. Auf dem Wasser liefert
sich mit uns ein Vierer mit Steuermann ein Rennen, aber sie haben
nicht so viel Ausdauer wie wir, nicht mal einen Kilometer fahren
sie neben uns her, dann geben sie auf und feuern uns dafür
an.
Viele Kilometer werden wir heute direkt an der Donau entlang zurücklegen,
da lohnt es sich schon mal ein paar geographische Daten in Erinnerung
zu bringen. Der Erdkundeunterricht wird bei den meisten doch schon
einige Zeit zurückliegen? Ok, die Donau ist nach der Wolga
der zweitlängste Strom in Europa. Knapp 2.900 Kilometer ist
sie lang und entspringt im Schwarzwald. Sechs Staaten – Deutschland,
Österreich, die Slowakei, Ungarn, Serbien und Rumänien
– werden von ihr durchflossen. Für weitere vier Staaten
– Kroatien, Bulgarien, Moldawien und Ukraine – stellt
sie den Grenzfluss dar. Man vermutet, dass der Name Donau seinen
Ursprung in der Sprache der Kelten hat, die einst am Oberlauf lebten.
Belegt sind u.a. "dona-aw" für tiefes Wasser.
Heute haben sich auf dem Fluss wirklich einige tolle originalgetreu
nachgebaute "Ulmer Schachteln" eingefunden und begleiten
uns, teilweise mit zünftiger Blasmusik bestückt. Eigentlich
darf man sie so gar nicht nennen, die Ulmer nannten ihre Schiffe
"Zille", aber die Donau-Nachbarn nannten sie spöttisch
"Ulmer Schachtel", weil sie wie Holzschachteln aussahen.
Sie hatten einen flachen Kiel und hüttenartige Aufbauten. Die
Zillen galten in den Donauländern als besonders zuverlässige
Schiffe für die schwierige Donauschifffahrt.
Die Ulmer Schiffsleute zu seiner Zeit betrachteten die despektierliche
Bezeichnung "Ulmer Schachtel" als grobe Herabwürdigung
ihrer Schiffbaukunst. Sie gebrauchten niemals diesen Namen, der
sich aber heute so eingebürgert hat. Mit diesen Schiffen fuhren
die Ulmer Schiffer donauabwärts, manchmal bis ans Schwarze
Meer, um ihre Handelsgüter an den Mann zu bringen. Da die Schiffe
nur zum runter schippern bestimmt waren, wurden sie am Reiseziel
verkauft. Die Schiffsleute mussten den langen beschwerlichen Weg
auf dem Pferd zurück reiten. So waren sie leichte Beute für
Räuber, die natürlich wussten, dass hier viel Geld zu
holen war.
Dann wird’s laut hinter mir, ein Sportkamerad hat sich seine
eigene Jukebox auf den Rücken geschnallt und beschallt damit
das ganze Feld, gerade läuft von Reinhard Fendrich "Es
lebe der Sport", das passt ja bestens. Am Ortseingang Thalfingen
hat sich ein Gruppe eine Biertischgarnitur zum Frühschoppen
mit Weißbier und Weißwürsten aufgebaut, sie sind
jedes Jahr hier vertreten, wie ich auf ihrem Transparent lesen kann.
Und auf dem Wasser spielt die Blasn dazu. Ja dann, "Prost und
an Guaden, des wär jetzt auch a Sach". Nach vier kerzengeraden
Kilometern erreichen wir am Ortsende einen Kreisverkehr, die Thalfinger
sind hier gut vertreten und feuern uns begeistert an. Wir biegen
nach rechts ab um die Donau zu überqueren. Und gleich geht’s
wieder rechts, um entgegengesetzt die Richtung Neu-Ulm einzuschlagen.
Hier, nach 5 km kommt auch die erste Verpflegungsstelle.
Am Ortsausgang von Pfuhl nach 8 km dringen mir ganz eigenartige
Töne in meine Ohr, das passt gar nicht zum normalen Laufgetrampel,
ein regelmäßiges Schlapp …Schlapp …Schlapp.
Als der Sportskamerad, der das erzeugt auf meiner Höhe ist,
kann ich auch den Grund dafür ausmachen. Seine Schuhsohle hat
sich schon zur Hälfte selbständig gemacht und klappt bei
jedem Schritt laut vernehmbar zurück. Die Schuhe kann er nicht
mal nach Kenia spenden. Der Lions-Club Ulm/Neu-Ulm/Alb-Donau und
die Spedition Noerpel haben nämlich gerade zum Einsteinmarathon
ein Projekt laufen, das sich "LaufSchuhe für Kenia"
nennt. Im Ziel auf dem Münsterplatz kann man seine gebrauchten
Laufschuhe einwerfen, von wo sie dann per Schiff nach Eldoret in
Kenia verfrachtet und über eine Kontaktstelle an Läuferinnen
und Läufer aus dieser Gegend verteilt werden.
Die Donau kommt wieder bei km 11 in Sicht, die "Ulmer Schachtel"
mit der Blaskappelle hat mittlerweile auch umgedreht und spielt
wieder für uns auf "wia der Ernst Mosch". Kurz vor
einer weiteren VP-Stelle gibt es mit der UNICEF-Fanmeile eine weitere
tolle Aktion zu bewundern. Im Abstand von vielleicht 5 Metern wurden
fantasievoll gestaltete Schilder aufgestellt. Fans konnten ihre
Tafeln bemalen um ihre Favoriten individuell anzufeuern und das
ist glaub ich gut gelungen, mir entlockt es einige Male ein Schmunzeln
wegen der guten Sprüche. Zweck der Aktion ist es, Spenden für
ein UNICEF-Projekt zu sammeln, der Erlös dieser Aktion kommt
dem Projekt "gegen Kinderarbeit auf Müllkippen in Equador"
zu Gute.
Das Stadtgebiet von Neu-Ulm erreichen wir bei km 12, viele Zuschauer
haben sich eingefunden um uns zu unterstützen. Von oben wird’s
jetzt immer ungemütlicher und leichter Nieselregen setzt ein.
Die nächsten 7 Kilometer sind dann sehr schwer zu beschreiben,
alleine das studieren des Streckenplanes ist eine Wissenschaft für
sich. Über diverse Brücken, mal darunter, mal darüber,
unzähligen Kurven und vielen Richtungsänderungen und Schleifen
führt uns der Weg durch Neu-Ulm, der Innenstadt von Ulm und
wechselweise an der Donau entlang.
Als Auswärtiger verliert man da zwangsläufig die Orientierung
aber langweilig wird es da sicher keinem. Ein wirkliches Problem
ergibt sich daraus auch nicht, zielsicher werden wir perfekt abgetrennt,
überall durchgeführt. Viele Bands und Cheerleadergruppen
sind in dem Bereich über die Strecke verteilt, an manchen führt
unser Weg gleich mehrmals vorbei. Die Trommler in der Ulmer Altstadt
sind nicht zu überhören und auch der Harry Reischmann
bearbeitet seine Drums mit wahrer Begeisterung. Lautstark werden
wir dazu von den Ulmern angefeuert, besonders natürlich im
Innenstadtbereich und das obwohl der Regen immer stärker wird.
Wieder einmal am Donauufer sticht mir schon von Weitem das Ulmer
Münster ins Auge, kein Wunder hat es doch mit 161 Metern den
höchsten Kirchturm der Welt ... aber die Ulmer zittern schon
seit einiger Zeit, die Sagrada Familia in Barcelona will ihr mal
den Rang abspenstig machen, wenn sie jemals vollendet wird, soll
sie einmal 170 m hoch werden. Das derzeit angebrachte Baugerüst
am Münster wird aber wohl nicht den Grund haben, dem vorzeitig
entgegen zu wirken?
Nach knapp 19 km hat das Geschlängel ein Ende, zuerst rechts
dann links auf Ulmer Seite führt der Weg wieder kontinuierlich
am Fluss entlang. Kurz nach dem 20 km-Schild werden die Halbmarathonis
nach links in die Stadt geführt, zu ihren Zieleinlauf. Bei
uns geht’s erstmal für die nächsten 3 km gerade
weiter bis zu einer Wendeschleife. Fast genau zwei Stunden nach
dem Start öffnet der Himmel seine Schleusen, es schüttet
wie aus Eimern. Jetzt hat es mich auch einmal richtig erwischt,
bisher hatte ich nämlich das Glück bei noch keinem Marathon
völlig durchnässt worden zu sein. Alle die jetzt unterwegs
sind, sind nass bis auf die Haut. Ganz unangenehm schwabbelt das
Wasser in meinen Laufschuhen, da hilft nur eines: Augen zu und durch.
Ich brauch sie gar nicht zu machen, meine Brille ist vollkommen
beschlagen, ich sehe eh kaum mehr was. Bilder kann ich euch jetzt
natürlich auch keine mehr liefern, meine Kamera möchte
ich ungern ersäufen.
Der Wendepunkt wird exakt bei km 23 erreicht, dann geht’s
in die entgegen gesetzte Richtung bis km 31 immer an der Donau entlang.
Wir werden alle völlig aufgeweicht, wenigstens die Temperaturen
sind so hoch, dass man nicht am frieren ist. Wie sagt doch eine
alte Bauernweisheit: "Wenn’s lange regnet, wird jeder
nass". Zu bedauern sind die vielen Streckenposten und Helfer
die ihre Plätze nicht verlassen können, die Einzigen die
dem entgehen ist das Schiff mit der Blas’n drauf, sie haben
sich einfach unter einer Donaubrücke platziert und können
uns so noch weiter unterhalten.
Aber tatsächlich nach einer Stunde hat der Spuk ein Ende, der
herrliche Uferlauf ist aber leider im wahrsten Sinne des Wortes
ins Wasser gefallen. Am Donaukraftwerk bei km 30 setzten wir wieder
mal auf die andere Donauseite über.
An der dortigen Verpflegungsstelle werde ich auch über Hailles
2:06 in Berlin in Kenntnis gesetzt, er polarisiert einfach alle
Laufbegeisterten. Der Donaukanal führt uns von hier nach Wiblingen,
am Ortsrand umrunden wir die Ortschaft bis wir Kloster Wiblingen
erreichen. Das Kloster ist eine ehemalige Benediktinerabtei, die
später als Kaserne genutzt wurde und heute Abteilungen des
Universitätsklinikums Ulm beherbergt. Die Klosterkirche St.
Martin dient heute als katholische Pfarrkirche und der Südflügel,
der 1917 neu errichtet wurde, wird als städtisches Altersheim
genutzt. Im Innenhof ist für uns eine große Verpflegungsstelle
eingerichtet. Es gibt Wasser, Cola, Iso, Bananen, Trockenfrüchte
und noch einiges mehr. Und sogar einige Zuschauer haben sich nach
dem Sauwetter eingefunden.
Bei km 37 sind wir wieder am Fluss, aber erstmal noch für zwei
Kilometer an der Iller, bis diese in die Donau einfließt.
Die ersten Sonnenstrahlen finden für heute auch ihren Weg.
Bei km 41 setzen wir wieder auf die andere Seite über, noch
geht’s 500 Meter neben der Bahn entlang und dann folgt unser
Zieleinlauf durch die City von Ulm. Kurz vor dem Münsterplatz
dürfen wir origineller weise noch eine Ladenpassage durchqueren.
Den Zieleinlauf kann ich vor vielen begeisterten Zuschauern doch
tatsächlich unter blauem Himmel beenden. Sehr clever hat der
Veranstalter meines Erachtens den Beginn des 5 km Gesundheitslaufs
und 10 km Citylaufs gelegt – die gerade ins Ziel kommen –
dadurch ist auch jetzt noch für viel Betrieb und Zuschauerinteresse
gesorgt. Bei vielen anderen Veranstaltungen kommen nämlich
die "späten" Marathonis doch eher schlecht weg.
Super organisiert ist auch die Versorgung im Zielbereich, den Schluck
Gerstensaft bleiben uns auch die Ulmer nicht schuldig. Auf dem gesamten
Münsterplatz geht’s zu wie auf einem Volksfest, so viele
Menschen haben sich eingefunden um alle Läufer/innen zu empfangen
und feiern. Leider hab ich mir den Plan nicht angesehen, wo ich
meinen Kleidersack in Empfang nehmen kann. Da wird mir aber schnell
weiter geholfen. Gleich neben den Kleidertransportern sind auch
die Container für die Aktion "LaufSchuhe für Kenia"
aufgestellt. Viel sind noch nicht drin. Der Shuttlebus zur Messe
fährt auch von hier gleich weg, sehr praktisch. Auf dem Weg
zum Parkplatz unterhalte ich mich noch mit Helmut Ruf und seiner
Frau und Lauffreunden. Schnell haben wir einen gemeinsamen weiteren
Marathon gefunden. 2005 sind wir beide in New York City gelaufen
und haben Paul Tergat dort vor uns hergetrieben.
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