Denken,
falten, werfen
Mit Karin und Jan bin ich auf dem Weg nach Salzburg, heute ist es
nur ein Katzensprung aus Augsburg da die A8 relaxed zu fahren ist,
meistens ist das ganz anders. Viele sind wohl doch schon am gestrigen
Maifeiertag in den Urlaub abgehauen. Jan und ich werden in
Salzburg unser 50. Marathonjubiläum feiern (Jan 30, ich 20).
Plötzlich, kurz vor der Grenze fällt mir ein: brauch ich
eigentlich ein Pickerl in Österreich? Nicht mal 10 Kilometer
sind bis zur ersten Ausfahrt zurückzulegen. Meine Mitfahrer
wissen auch nicht Bescheid, bleibt nur noch die Möglichkeit
an der Vignetten-Station an der Staatsgrenze nachzufragen. Ja, definitiv,
sobald wir Grenze auf der Autobahn überschreiten, muss sie
in der Scheibe pappen, da gibt es keine Ausnahme.
Wie findet man mit dem Auto zur Startnummerausgabe am Residenzplatz?
Gar nicht so einfach, Marathon-Hinweisschilder gibt es in der ganzen
Stadt nicht. Mein Tipp für alle die sich auch nicht so in Salzburg
auskennen und mehrfaches Kreisen um die Altstadt – wie wir
das taten – vermeiden wollen. Der Beschilderung Richtung Altstadt
folgen und dann die Kiste in irgend einem der zahlreichen Parkhäuser
abstellen. Den Residenzplatz kann man nämlich per Auto gar
nicht erreichen, aber die Altstadt ist überschaubar und allzu
weit ist es von keiner Parkgarage zu Fuß.
Nebenbei lernt man gleich einiges des wunderschönen Altstadt
kennen, die seit 1966 auf der Liste des Weltkulturerbes der UNESCO
steht. Was gibt es alles zu sehen, was kann man begutachten?
In erster Linie natürlich Mozart, er ist in Salzburg allgegenwärtig.
Hier wurde er geboren, hier hat er gelebt und gearbeitet. Seine
Denkmäler sind Pilgerstätten für Liebhaber seiner
Musik. Da wären sein Geburtshaus in der Getreidegasse, wo er
1756 als Johannes Chrysostomus Wolfgang Theophilus geboren wurde.
Hier schieben sich aber leider auch die meisten Touristen durch.
Dann gibt es noch sein Wohnhaus am Makartplatz, hier lebte er mit
seiner Familie bis 1780 und schuf in diesen Jahren zahlreiche Symphonien,
Serenaden und Konzerte. In den Räumen der ehemaligen Wohnung
ist heute ein Museum eingerichtet. Dazu kann Salzburg noch das Zauberflötenhäuschen
bieten, ein kleiner Holzbau, in dem Mozart Teile seiner "Zauberflöte"
komponiert haben soll. Der Wolferl soll in dem Häuschen eingesperrt
worden sein, um mit der Komposition termingerecht fertig zu werden.
Und es gibt Schlösser, viele Schlösser, aber die liegen
fast alle an der Marathonstrecke, darum komme ich noch während
des Laufes auf das eine oder andere zurück.
Der Empfang der Startunterlagen ist in wenigen Minuten erledigt,
zum Finishershirt bekommen wir noch einen Gutschein für eine
Essensportion am Buffet der Salzburger BIO-Bauern, das ebenfalls
im Veranstalterzelt untergebracht ist. Wir können wählen
unter 4 verschiedenen Speisen, darunter z.B. Hechtfilet mit Kartoffelgratin
oder auch eher traditionell Schwarz-Weiße Nudelvariation mit
Tomatensoße und Basilikumpesto.
Manch einer lässt sich die Vesper auch mischen, ist für
die Dame an der Ausgabe auch keine Problem. Uns schmeckt’s
ausnehmend gut, wirklich eine tolle Sache. Die Messe selbst ist
eher klein und wird auch gar nicht so bezeichnet, darum sollte man
auch besser alles für den Marathon Benötigte selbst dabei
haben.
Nach einem kleinen Rundgang reicht‘s mir langsam vom Touristengewusel
in der Altstadt, ich würde gerne noch etwas Ruhigeres ansehen.
Da hat mir ein Freund zu Hause noch einen Tipp wärmstens ans
Herz gelegt: Hangar-7 am Salzburger Flughafen. Eröffnung war
im August 2003 und seit dem hat er sich zu einer Art modernem Wahrzeichen
von Salzburg entwickelt.
Das Gebäude beherbergt neben einer beträchtlichen Anzahl
an Flugzeugen auch mehrere Formel-1-Rennwagen, zwei Bars, ein Gourmet-Restaurant
und diverse Kunstausstellungen und Skulpturen. Und genau da, fahren
wir jetzt noch hin.
Eigentümer dieses supermodernen Gebäudes ist der "Schutzpatron
vieler Läufer". Er ist der Verantwortliche des Zaubergetränkes,
das uns so oft am Ende unserer Kräfte noch Flügel verleiht.
Die Rede ist vom Salzburger Milliardär und Flugzeugliebhaber
"Didi" Mateschitz.
Vielen wird der Mitbesitzer der Firma Red Bull bekannt sein. Man
könnte das Ganze also auch das Red-Bull-Museum oder eher noch
-Tempel nennen. Über den Geschmack des Getränkes läßt
sich bekanntlich streiten, die positive Wirkung soll aber nachweislich
unbestritten sein. Ich nehme die Möglichkeit im Rennen immer
sehr gerne wahr und traditionell leere ich vor jedem Start eine
Dose, seit mir bei einem Rennen tatsächlich – für
meine Verhältnisse – mal die Flügel gewachsen sind.
Aus der simplen Notwendigkeit, einer neuen Heimat für seine
Flying Bulls, entwickelte sich eine weltweit einzigartige Kombination
aus Flugzeug-Hangar, Kunstgalerie, Gastronomie und Erlebnisbereich.
Von Außen betrachtet bildet das architektonisch unglaublich
beeindruckende Gebäude die Grundform eines Flügels. Zu
erwähnen wäre noch dass alles gratis zu besichtigen ist.
Schon vor der Halle werden wir von Sicherheitsleuten hingewiesen,
dass heute ein großes Event statt findet, das Red Bull Paper
Wings World Final 2009. Der finale Wettbewerb, in dem die weltbesten
Papierflieger-Piloten ermittelt werden. Was es nicht alles gibt.
Die ersehnte Ruhe finde ich natürlich hier nicht, aber dafür
ein richtiges Spektakel, die Hütte ist proppenvoll und die
Lärmkulisse gewaltig. Um Platz für den Wettbewerb zu schaffen,
mussten einige größere Exponate wie die wunderschöne,
hochglanzpolierte North American B-25J MITCHELL die Halle verlassen,
das meiste kann aber innen besichtigt werden.
Denken, falten, werfen lautet die Devise der Papierflugzeug-Ingenieure
oder -Piloten, so nennen sich nämlich die Teilnehmer. Aus 85
Ländern vertreten die Top-Drei jeder Nation in den Kategorien
"Longest Airtime", "Longest Distance" und "Aerobatics"
ihr Land. Wir kommen gerade zum Start des "Longest Airtime"
Bewerbes. Ein Jury Mitglied zeigt allen wie es geht, sein längster
Flug wird bei über 12 Sekunden gestoppt, die Zeit wird dann
auch von keinem der nachfolgenden Piloten erreicht.
Bis unter die Decke werden die Flieger geschleudert, die unterschiedlichsten
Falttechniken kann man ausmachen. Keiner darf im Übrigen seinen
Papierflieger mitbringen, sondern alle sind vor dem Start mit identischen
DIN A4 Blättern ausgestattet worden. In der "Longest Distance"
Kategorie wurden vom Sieger 54.43 m erreicht.
Eigentlich wollten wir uns noch in einem der phantastischen Cafés
niederlassen, aber der Lärm ist uns dann doch zu hoch. Zu einer
richtigen kulinarischen Institution ist Mittlerer weile das Restaurant
Ikarus geworden, jeden Monat kreiert ein renommierter Spitzenkoch
aus einem anderen Land das Menü und bereitet es anschließend
auch in der Küche zu. Für uns ist das aber heute nicht
das Richtige, wir bevorzugen eher noch was Kohlenhydratreiches.
Aber einen Besuch des ehrwürdigen Red Bull Tempels kann ich
jederzeit nur empfehlen, ist schon fast ein Muss. Der Marathonmorgen beginnt schon ziemlich früh, da der Start
bereits um 9 Uhr erfolgt. Dafür werden wir aber mit einem makellosen
blauen Himmel und angenehmen 10 Grad belohnt. Ein Wunder ist es
da nicht, dass der Teilnehmerrekord erneut gebrochen wird und jetzt
bei 4.680 steht. Beim Marathon stehen heute ca. 650 Läufer/innen
am Start.
Es gibt natürlich noch jede Menge anderer Bewerbe um auf die
stolze Summe zu kommen. Da wären noch ein Halbmarathon, Viertelmarathon,
ein 5 km Genusslauf und noch Marathon-Staffeln. Ganz vorne und etwas
früher dürfen die Teilnehmer der Österreichischen
Staatsmeisterschaft starten. Gleich danach lässt man auch uns
von der Leine.
Bereits nach 2 km verlassen wir die historische Altstadt und es
geht auf der mit Kastanienbäumen gesäumten Allee zum Schloss
Hellbrunn. In Salzburger Zeitungen gab es einigen Wirbel weil ausgerechnet
auf diesem Weg während des Marathons Brücken saniert werden
und derzeit nur Behelfsbrücken aufgebaut sind. Hätte ich
die Meldung nicht gelesen, wäre mir das kaum aufgefallen, wieder
mal viel Rauch um Nichts in den Gazetten.
Nach 5 km sind wir am Schloss, ein paar hundert Meter geht es durch
die Anlage, der Kiesweg ist für uns mit einem roten Teppich
ausgelegt, hier ist auch die erste Getränkestation. Hellbrunn
und sein weitläufiger Park zählen zu den prächtigsten
Renaissance-Bauten nördlich der Alpen. Weltweit einzigartig
sind die bekannten Wasserspiele, bei jetzt fast 20 Grad könnte
man glatt in Versuchung kommen.
Nach einem kurzen Blick auf das Lustschloss der Erzbischöfe
geht’s weiter durch den Eichetwald. Bestimmt die Hälfte
der Strecke ist in der Natur zurückzulegen, man kann also nicht
von einem Citymarathon sprechen, wunderschön schattig ist es
hier außerhalb des Stadtgebietes, bei dem Wetter natürlich
ideal. Zuschauer sind hier aber etwas dünn gesät. Bald
ist die Idylle aber wieder vorbei und ich erreiche das Stadtgebiet.
Die Matten des Viertelmarathon liegen rechts des Leopoldskroner
Weihers, hier warten die Staffelläufer auf ihre Übergabe
und gleich darauf kommt auch die zweite Getränkestation. Für
die heutigen warmen Verhältnisse sind meines Erachtens die
5 Kilometer Abstände fast ein wenig zu hoch, zum knabbern hab
ich überhaupt noch nichts gesehen. Nach einer fast vollständigen
Umrundung des bezaubernden Weihers, hat man einen herrlichen Blick
auf Schloss Leopoldskron. Mozart war hier mal zum Vorspielen eingeladen.
Die nächsten Kilometer führen recht unspektakulär
durch Salzburger Vororte und Wohngebiete, bei ca. km 14 liegt links
eine der größten und bekanntesten Brauereien Österreichs.
Der Stiegl Bräu braut hier an seinem einzigen Braustandort
sein Bier mit bestem Quellwasser vom nahen Untersberg. Tradition
wird hochgehalten, schon seit 1492 wird mit dem Pferdewagen ausgeliefert,
auch heute noch werden täglich die Gaststätten rund um
die Brauerei mit den angespannten Rössern versorgt.
Am Versorgungspunkt bei km 15 laufen Jan mit Karin im Schlepptau
auf mich auf, seit einiger Zeit spielt er ihren Pacer, sie ist auf
der Jagd nach einer neuen Halbmarathonbestzeit, das würde an
ihrem Geburtstag gut passen. Da stelle ich mich doch auch gerne
zur Verfügung und wir erhöhen im Verlauf noch etwas das
Tempo.
An der Westseite des Mönchsberges überqueren wir auf der
Lehener Brücke die Salzach, wenig später kommt auch Verpflegungsstelle
4, zum ersten mal kann ich auch Bananen entdecken. Am Makartplatz
vorbei passieren wir Mozarts Wohnhaus und schon geht’s bei
km 20 über die Staatsbrücke zurück in die Altstadt.
Karin hängt sich tapfer an uns an.
Aber erst geht’s nochmal ein Stückchen weg vom Ziel,
wir dürfen noch eine kleine Runde um die Altstadt bis zum Mönchsbergs
drehen, dort ist auch noch ein ca. 100 Meter langer Tunnel zu durchqueren.
Einen tollen optischen Leckerbissen bieten die Pferdefresken der
Pferdeschwemme vor dem früheren fürstlichen Marstall.
Davor steht die tolle Skulptur des "Rossebändigers",
der ein sich aufbäumendes Pferd bändigt. 1693 wurde hier
die Felsenreitschule an den Wänden des Mönchsbergs errichtet.
Der Ort dient heute als Aufführungsstätte für die
Salzburger Festspiele.
Die letzten Meter führen uns vor jubelnden Zuschauern zum Ziel-
bzw. Halbzeitbogen am Residenzplatz, Karin hat’s geschafft,
sie geht mit neuer HM-Bestzeit ins Ziel. Jan und ich haben aber
bei dem herrlichen Wetter noch lange nicht genug. Aber jetzt können
wir wieder etwas Tempo rausnehmen, die Temperaturen werden wahrscheinlich
die 20 Grad schon überschritten haben. Für mich ist es
das Traumwetter zum Laufen schlechthin, ich mag es lieber etwas
wärmer.
Natürlich ist es jetzt auf der Strecke deutlich ruhiger, wie
bei den meisten Marathons mit integriertem HM geht die Mehrzahl
der Läufer auf die Unterdistanz. Aber alleine bin ich deshalb
nicht unterwegs, es sind noch einige auf der Piste, insgesamt erreichen
596 Marathonis das Ziel.
Ich kann heute die 4-Stunden Marke locker unterbieten auch wenn
mir die Beinchen auf den letzten 5 Kilometer noch ziemlich schwer
wurden, als Trainingslauf für den Supermarathon in zwei Wochen
am Rennsteig müsste es aber schon gepasst haben.
Während Jan und ich zum duschen gingen, machte es sich Karin
auf einer Bank gemütlich, dort traf sie Jürgen Roscher,
der gerade seinen 500. Marathon absolviert hatte, das imponierte
ihr mächtig.
Den Ausklang dieses tollen Tages und Karins Geburtstag feiern wir
anschließend noch im 300 Jahre alten, berühmten Café
Tomaselli, direkt vor dem Zieleinlauf. Die Kuchenplatte wird hier
von der Bedienung direkt an den Tisch getragen, bei der Auswahl
läuft einem das Wasser im Mund zusammen, aber wir haben’s
uns heute auch verdient. |